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Welche Folgen der Ukraine-Konflikt für Europas Wirtschaft hat

Berlin, 24. Feb (Reuters) – Der russische Angriff auf die Ukraine ist nicht nur in politischer Hinsicht eine Zäsur, sondern auch in wirtschaftlicher. Die Reaktion der Weltgemeinschaft könnte weitreichende Folgen für die deutsche und europäische Konjunktur haben – von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen bis hin zu Wirtschaftssanktionen, die Handel und Investitionen hemmen. Nachfolgend ein Überblick:

WELCHE AUSWIRKUNGEN AUF DIE INFLATION SIND ZU ERWARTEN?

Die ohnehin schon stark steigenden Preise dürften weiter nach oben gehen. Das legt die Reaktion der Ölpreise auf den russischen Angriff nahe: Diese zogen für die Nordseesorte Brent um fast sieben Prozent an und erreichten mit 103,20 Dollar je Fass den höchsten Stand seit siebeneinhalb Jahren. Damit werden nicht nur Kraftstoffe und Heizöl für Verbraucher teurer, sondern auch für Unternehmen.

Diese dürften versuchen, zumindest einen Teil der steigenden Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Das ebenfalls teurer gewordene Erdgas ist zugleich Hauptbestandteil vieler Düngemittel, was wiederum Nahrungsmittel verteuern könnte. Unabhängig davon exportierte die Ukraine im vergangenen Jahr mehr als 33 Millionen Tonnen Getreide, so dass sich jede Störung auf den Weltmärkten – auch in Europa – bemerkbar machen dürfte.

Insgesamt schätzt die Bank of America Securities, dass die Inflationsrate in der Euro-Zone um einen Punkt auf vier Prozent im laufenden Jahr steigenden könnte. In Deutschland könnte die Teuerungsrate zeitweise auf bis zu 6,1 Prozent klettern, so das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Modellsimulation. Denn Deutschland bezieht mehr als die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland. Auch wenn die Bundesrepublik kurzfristig einen Stopp der Gaslieferungen überstehen könnte, würden die Preise für Gas in die Höhe schnellen.

WAS PASSIERT MIT DEM WARENHANDEL?

Der dürfte noch weiter nachgeben. Die Exporte der Euro-Länder nach Russland haben sich seit der Konfrontation um die Krim im Jahr 2014 ungefähr halbiert, da sich europäische Unternehmen auch wegen der verhängten Sanktionen nach alternativen Handelspartnern umsuchten. Die EU-Ausfuhren nach Russland summierten sich im vergangenen Jahr auf Waren im Wert von 80 Milliarden Euro. Das entspricht lediglich 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der EU. Besonders Maschinen und Autos, Chemikalien und Industrieerzeugnisse werden nah Russland geliefert.

Unter den EU-Ländern ist Deutschland der wichtigste russische Handelspartner. Der deutsch-russische Warenhandel lag 2021 bei knapp 60 Milliarden Euro – ein Zuwachs von rund einem Drittel, in dem sich die deutlich gestiegenen Energiepreise widerspiegeln. Die Summe entspricht einem Anteil von 2,3 Prozent am gesamten deutschen Warenaustausch mit anderen Ländern. Die Bedeutung Russlands ist im vergangenen Jahrzehnt stark gesunken: Im Rekordjahr 2012 hatte der Anteil noch 4,1 Prozent betragen. Aktuell belegt Russland Rang 13 der wichtigsten Handelspartner Deutschlands.

WAS HAT RUSSLANDS ANGRIFF FÜR FOLGEN FÜR INVESTITIONEN?

Unternehmen dürften sich wegen der ungewissen Entwicklung vorerst mit größeren Investitionen zurückhalten. „Die Unsicherheit wird massiv zunehmen“, sagt etwa Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Besonders steigende Energiepreise könnten die deutschen Unternehmen weiter belasten. „Das wäre Gift für den Aufschwung.“

Wie stark der Handel leiden wird, hängt von den neuen Sanktionen ab, die von den Staats- und Regierungschefs der EU geprüft werden. Sie werden „das härteste Paket von Sanktionen sein, das wir je eingeführt haben“, kündigt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel an.

Die EU ist zugleich der größte ausländische Investor in Russland. Die Direktinvestitionen summierten sich 2019 auf 311,4 Milliarden Euro. Im Vergleich zu den 2,16 Billionen Euro, die EU-Firmen in den Vereinigten Staaten investiert haben, ist das jedoch nur ein Klacks.

„Auf dem Papier ist es viel, aber es handelt sich nur um einen kleinen Teil der gesamten ausländischen Direktinvestitionen von EU-Unternehmen“, sagt Daniel Gross, Leiter des Brüsseler Instituts CEPS. Er sehe kaum das Risiko, dass Moskau die von EU-Unternehmen betriebenen Anlagen enteignen wolle, weil deren Betrieb so komplex sei.

WAS SIND FOLGEN FÜR DIE KONJUNKTUR?

Das Wachstum in Deutschland und der Euro-Zone insgesamt dürfte etwas niedriger ausfallen als bislang erwartet. „Die dadurch geringeren Steuereinnahmen und die potenziell höheren Ausgaben für den Verteidigungsetat werden den Staatshaushalt belasten und zu einer möglichen höheren Neuverschuldung führen“, sagt Ökonom Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Konsequenzen für die Tragfähigkeit der deutschen Staatsschulden wird der Krieg in der Ukraine aber nicht haben.“

Höhere Energie- und Lebensmittelpreise dürften die Kaufkraft der privaten Haushalte schwächen, was wiederum den Konsum dämpfen dürfte. Da hohe Energiepreise besonders Familien mit geringem Einkommen treffen, werden viele Regierungen wohl Subventionen auflegen.

Das wiederum dürfte die durch die Pandemie-Hilfen ohnehin strapazierten Staatskassen weiter belasten. Die Studie der Bank of America geht davon aus, dass eine Eskalation der Krise etwa 0,5 Prozentpunkte der europäischen Wirtschaftsleistung kosten könnte, und zwar direkt durch die Belastung des privaten Konsums. 

WAS WIRD DIE EZB TUN?

Für die Währungshüter wird es schwierig, denn sie müssen steigende Preise und einen drohenden Konjunkturabschwung gleichzeitig bekämpfen. Das eine erfordert eigentlich höhere Zinsen, das andere spricht für eine anhaltende Nullzinspolitik. „Der Einmarsch Russlands in die Ukraine bringt die EZB in ein Dilemma“, fasst DIW-Experte Kriwoluzky die Lage zusammen.

Wegen der von steigenden Energiepreisen befeuerten Inflation müsste die Europäische Zentralbank (EZB) eigentlich im März mit dem Ende des Anleihenkaufprogramms reagieren und Zinserhöhungen für die Zukunft ankündigen.

„Auf der anderen Seite bremsen die negativen Handelsauswirkungen und die Auswirkungen der Sanktionen den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Pandemie“, so der Experte. Zudem dürfte die psychologische Komponente eines Krieges in Europa die Nachfrage potenziell schwächen.

„Zusammen mit einem geringen Wachstum erschwert dies wiederum den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik“, so der DIW-Ökonom. Die Entwicklung in den nächsten zwei Wochen werde zeigen, ob die EZB trotz der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen einen Kurswechsel zu einer restriktiveren Geldpolitik einleiten kann.

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Titelfoto: Symbolfoto 

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