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Lässt China-Lockdown deutsche Industrie und Wirtschaft entgleisen?

Berlin, 17. Mai (Reuters) – Erst Corona-Pandemie, dann Erholung, jetzt Wirtschafts- und Energiekrise durch den Ukraine-Krieg. Die deutsche Konjunktur fährt Achterbahn. Während hohe Inflation und teure Energie Firmen und Verbrauchern zu schaffen machen, haben einige Branchen die Virus-Krise schon abgeschüttelt. Fast. Wenn da nicht China wäre. Der harte Anti-Covid-Kurs mit Lockdowns in Metropolen wie Shanghai bremst den Welthandel.

„Die deutsche Wirtschaft wird das noch spüren“, sagt Vincent Stamer, Handelsexperte beim Kieler IfW-Institut. „Jetzt dürften die Verbraucher beginnen, Lieferengpässe bei manchen Produkten wahrzunehmen.“ Auch Konjunkturchef Timo Wollmershäuser vom Münchner Ifo-Institut betont: „Das trifft uns wahrscheinlich im Mai und Juni mit voller Wucht.“ Denn 15 Prozent aller importierten Vorprodukte kämen aus China.

Als die Omikron-Welle ihren Schrecken verlor und fast überwunden schien, sorgte der Einmarsch Russlands in die Ukraine Ende Februar erneut für massive Unsicherheit in der Wirtschaft. Seitdem streichen Verbände und Ökonomen ihre Wachstumsprognosen zusammen und holen stattdessen wieder Rezessionsszenarien aus der Schublade. Die Bundesregierung erwartet 2022 nur noch ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,2 Prozent.

Das Aufflammen der Corona-Krise in China stand anfangs noch im Hintergrund, die strikte Null-Covid-Strategie der Pekinger Regierung bremst nun aber Welthandel und globale Konjunktur. Das merken auch deutsche Außenhändler. China ist seit 2016 wichtigster Handelspartner Deutschlands: Zwischen beiden Ländern wurden 2021 Waren über rund 245 Milliarden Euro gehandelt.

QUASI EINGESPERRT

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat Anfang des Jahres noch auf sechs Prozent Exportwachstum gesetzt. Doch längst herrscht Ernüchterung. „Es wird nicht viel mehr geben für die deutsche Exportwirtschaft als hoffentlich eine schwarze Null“, sagte jüngst DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. In China fühlten sich viele Unternehmen und Angestellte wegen des strikten Vorgehens quasi eingesperrt, vor allem in der für deutsche Firmen wichtigen Region rund um Shanghai. „Der Frust kann nicht viel höher sein.“

Auch die Bundesregierung gibt sich besorgt über das weitreichende Abriegeln ganzer Ballungsräume. „Von der weltweiten Containerfrachtkapazität stehen derzeit rund drei Prozent im Stau im Hafen von Shanghai“, erklärt das Wirtschaftsministerium. Ein Containerschiff von China nach Deutschland ist rund 30 bis 40 Tage unterwegs, wie IfW-Fachmann Stamer erläutert.

Er rechnet zunehmend mit Engpässen von Zwischen- und Endprodukten, bei einer breiten Palette von Waren: von Halbleitern und anderen elektronischen Gütern bis über Textilien hin zu Möbeln. „China wird wohl noch weitere Lockdowns verhängen in anderen Städten und damit in anderen Produktionsorten“, sagt der Kieler Forscher. „Lieferengpässe im Handel mit China werden uns auch in diesen Jahr noch verfolgen.“

STAU AUCH NACH ENDE VON HAFENBLOCKADEN – „MONATE VERGEHEN“

Doch mit dem Ende von Hafenblockaden läuft noch lange nicht wieder alles wie geschmiert – davon können Logistiker ein Klagelied singen. „Selbst wenn der Schiffsstau vor Shanghai sich auflöst und die meisten Fabriken in China aus dem Lockdown gehen, wird es viele Monate dauern, bis sich die Lieferketten normalisieren“, sagt Marktexperte Christian Kille von der Bundesvereinigung Logistik (BVL).

Das sei wie bei einem Stau auf der Autobahn, der sich weiterverbreite und aufschaukele, obwohl sich der eigentliche Grund dafür längst aufgelöst habe. „Bis die Hinterlandverkehre wieder funktionieren und die Leercontainer den Weg zur nächsten Beladung gefunden haben, werden Monate vergehen“, warnt Kille. „Der Schiffsstau wird sich zudem zunächst auf die europäischen Häfen verlagern, weil diese den Ansturm nach der Pause nicht bewältigen können.“ 

Shanghai mit seinen gut 25 Millionen Einwohnern läutet derweil ein Ende des mehr als sechswöchigen Lockdowns ein. Die Lockerung kommt auch vor dem Hintergrund massiver wirtschaftlicher Schäden. Mit zeitlichem Verzug trifft es nun hiesige Firmen. „Das wird die Probleme der deutschen Industrie weiter verschärfen“, sagt Ifo-Ökonom Wollmershäuser.

Das Dilemma der Betriebe sei eine „gute Auftragslage – aber stagnierende Produktion“. Damit laufe das zweite Quartal bei der Industrie auf ein Minus hinaus. Aber konsumnahe Dienstleister dürften nach Corona-Lockerungen für Schwung sorgen. „Das trägt die BIP-Erholung der gesamten Wirtschaft.“

Allianz-Chefökonom Ludovic Subran sieht Gegenwind in den nächsten drei bis sechs Monaten für die Industrie. Baubranche und Autosektor dürften das spüren und womöglich wieder auf Kurzarbeit geben. „Es würde keine Rezession verursachen“, betont Subran. „Aber das Sommer-Quartal könnte wegen des China-Lockdowns für die Produktion noch schwierig sein.“

Lässt China-Lockdown deutsche Industrie und Wirtschaft entgleisen?

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