Berlin, 18. Mrz (Reuters) – Fast alle deutschen Unternehmen sind mittlerweile direkt oder indirekt vom Krieg in der Ukraine betroffen. Das geht aus mehreren Umfragen hervor, die am Freitag von Wirtschaftsverbänden veröffentlicht wurden. Die meisten Unternehmen spüren Auswirkungen über die sprunghaft gestiegenen Energiekosten und haben Probleme in ihren Lieferketten. Ganz zurückziehen will sich die deutsche Wirtschaft aber noch nicht aus Russland.
In einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), für die zwischen Dienstag und Donnerstag 3700 Firmen befragt wurden, gaben 78 Prozent an, geschäftlich betroffen zu sein. Lediglich 22 Prozent spüren bislang keine Auswirkungen des Krieges und der deswegen gegen Russland verhängten Sanktionen. Besonders alarmierend seien die Ergebnisse für die Industrie, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Zwei von drei Unternehmen geben an, Preissteigerungen an Kunden weiterzugeben. „Hier droht zusätzliches Inflationspotenzial.“ Probleme in der Logistik und bei den Lieferketten haben drei Viertel der Industriebetriebe, fast 90 Prozent melden fehlende Rohstoffe und Vorprodukte.
Ein hochrangiger Vertreter der deutschen Wirtschaft, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte, bis Ende des Jahres müssten die Unternehmen auf Sicht fahren. Dann werde klarer sein, ob es gar kein Geschäft mehr mit Russland gebe oder ob es auf einem niedrigeren Niveau weitergehen könne. Mit der Regierung von Präsident Wladimir Putin werde es aber sicherlich keine Zusammenarbeit mehr geben, die politische Situation könne sich aber auch in Russland ändern. „Mindestens um zehn, 15 Jahre wurden wir zurückgeworfen.“ Wichtige Importe aus Russland für die deutsche Industrie seien vor allem Aluminium, Nickel und Titan.
Ifo-Präsident Clemens Fuest – einer der Top-Ökonomen in Deutschland – rät von einem kompletten Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland ab. „Unterm Strich ist es besser, wenn wir das nicht aufgeben“, sagte er bei einer Veranstaltung der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Deutschland müsse jetzt Überkapazitäten bei Erdgas aufbauen und Vorräte durch Lieferungen aus anderen Ländern aufstocken, etwa durch Flüssiggas-Lieferungen. „Wenn man die hat, sollte man weiter Gas kaufen, denn dann kann man Putin sagen: Du bist von uns abhängig, wir sind aber nicht von dir abhängig.“
RISIKO EINER REZESSION WIRD GRÖSSER
Das Risiko einer Rezession in Deutschland ist zuletzt gestiegen. Das signalisiert der Konjunkturindikator des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Das auf aktuellen Wirtschaftsdaten basierende Frühwarnsystem taxiert eine Rezessionswahrscheinlichkeit für die nächsten drei Monate auf 23,9 Prozent, nach 16,1 Prozent im Februar.
DIHK-Lobbyist Wansleben sagte, Prognosen zum Wirtschaftswachstum seien mittlerweile Makulatur. Im Februar – noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine – hatte der Verband seine Schätzung für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr auf 3,0 Prozent gesenkt. 2021 hatte es ein Plus von 2,8 Prozent gegeben.
SELBST SCHRAUBEN UND NÄGEL FEHLEN AUF DEM BAU
Stark betroffen ist momentan die Baubranche. Teilweise kommen sogar Lieferungen wie Schrauben und Nägel aufgrund von Sanktionen nicht mehr in Deutschland an. „Wir sollten uns heute schon die Frage stellen, welche Projekte wir einstellen müssen und auf welche wir nicht verzichten können“, sagte Tim-Oliver Müller vom Branchenverband HDB. Große Preissteigerungen gebe es etwa bei Stahl, Bitumen und Aluminium. Die Materiallieferanten machten deshalb keine verbindlichen Angebote mehr. „Teilweise werden Preise nur im Stundenrhythmus garantiert. Angebote wie bisher seriös zu kalkulieren und abzugeben, ist damit unmöglich.“
Einer Umfrage in der Metall- und Elektroindustrie zufolge erwarten 69 Prozent aller Unternehmen Kostensteigerungen im Einkauf und fast die Hälfte rechnet mit spürbaren Einbußen bei Umsatz und Gewinn, wie der Arbeitgeberverband Gesamtmetall mitteilte. „Die Folgen eines Energie- und Rohstoffembargos wären aber definitiv dramatisch und schon jetzt droht der M+E-Industrie eine massive Kostenexplosion und ein erneutes Rezessionsjahr“, so Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander.
Fast alle deutschen Unternehmen spüren Krieg in der Ukraine schon
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.