Berlin, 27. Feb (Reuters) – Der Krieg in der Ukraine und die Abhängigkeit Deutschlands von Gaslieferungen aus Russland haben die Debatte um den Kohleausstieg befeuert. Vor einem für Montag angesetzten Treffen der europäischen Energieminister in Brüssel zur Versorgungssicherheit kamen am Sonntag Forderungen aus Bundesländern mit Braunkohleförderung, von dem angepeilten Ausstiegsjahr 2030 abzurücken – zumal dieses Jahr auch das letzte Akw vom Netz soll.
„Wir können nicht einfach weitermachen wie bisher“, sagte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) dem „Handelsblatt.“ „Der doppelte Ausstieg aus Kohle und Kernkraft hat uns damit ein Klumpenrisiko beschert, aus dem wir uns herausarbeiten müssen.“ Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erklärte in der „Welt“, 2030 sei nun Makulatur. „In dieser Lage nun deutsche Kohlekraftwerke schnell abschalten zu wollen, halte ich für unverantwortlich.“ Auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) zeigte sich mit Blick auf 2030 skeptisch.
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) äußerte sich in der Sondersitzung des Bundestags am Sonntag nicht zum Kohleausstieg, betonte aber die Bedeutung eines beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energie. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner deutete zumindest Diskussionsbedarf an: „Unsere Bewertung für die nächsten Jahre werden wir an die geänderte Lage anpassen müssen“, sagte er mit Blick auf die Energieversorgung allgemein.
FDP-Vize-Fraktionschef Lukas Köhler warnte vor übereilten Entscheidungen. Es sei nicht der richtige Zeitpunkt, um über Details des Kohleausstiegs zu sprechen, der idealerweise 2030 kommen solle. Mittelfristig müssten allerdings alle Optionen geprüft werden, sagte er Reuters. Für Heizungen oder Industrieprozesse sei Kohle aber ohnehin keine Alternative.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verlangte eine Neubewertung der Lage: „Ist der frühere Ausstieg aus der Kohleverstromung wirklich verantwortlich? Oder müssen wir nicht erkennen, wie wertvoll eine sichere Energieversorgung ist?“, sagte Kretschmer „Zeit Online“.
NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart regte zudem an, auch über en Atomausstieg in diesem Jahr noch einmal zu reden. „Eine temporäre Aussetzung des Atomausstiegs sollten wir daher nicht ohne tiefergehende Prüfung ausschließen“, forderte er.
Allerdings hatte die Akw-Betreiber auch zuletzt klar gemacht, dass ein Weiterbetrieb auch aus wirtschaftlichen Gründen für sie nicht infrage kommt. Pinkwart will laut „Handelsblatt“ am Montag mit seinen Länderkollegen über das Thema Energie beraten.
Der FDP-Energieexperte im Bundestag, Michael Kruse, sagte Reuters, forderte die Bundesregierung zu einer neuen Energieplanung für Krisenzeiten auf. Er plädierte dafür, dass moderne Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg zunächst weiterlaufen zu lassen.
BDI-Präsident Siegfried Russwurm sprach sich ebenfalls im „Handelsblatt“ für neue Überlegungen aus: „Ich schließe nichts mehr aus“, sagte er „Zeit-Online“. Man müsse prüfen, „ob ein Vorziehen des Kohleausstiegs tatsächlich möglich ist, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden“. Eine Abkehr vom Atomausstieg sehe er allerdings allerdings skeptisch.
Ukraine-Krieg lässt Kritik an Kohleausstiegs-Datum 2030 wachsen
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