06. Apr (Reuters) – In der Auseinandersetzung mit dem Westen über die Invasion in der Ukraine könnte Russland mit einem Stopp der Erdgaslieferungen zu einem noch nie benutzten Mittel greifen.
In der Versorgerindustrie und in den Großmärkten tauchen Fragen auf, inwiefern ein einseitiges Abstellen – das auch von westlicher Seite her denkbar wäre – die technischen Anlagen zum Fördern, Transport, Verteilen und Lagern von Gas beschädigen würde. Im Folgenden die wichtigsten Punkte zum Thema.
WIE RASCH GEHT DAS ABSTELLEN?
Für westliche Kunden ginge dies rasch. Gasbohrungen können innerhalb von Stunden runtergefahren und das Pumpen durch die Transportpipelines sofort eingestellt werden. Somit würden die Lieferungen innerhalb von ein bis zwei Tagen ausbleiben, dann käme in Westeuropa nichts mehr an.
WAS WÄREN DIE PROBLEME AM FÖRDERLOCH?
Geringe – Im Sommer werden Anlagen und Zuflüsse immer schon einige Wochen abgestellt, wenn diese gewartet werden müssen. Auch im Winter kann man sich vor Frostschäden schützen. Gastrocknungsanlagen könnten sehr schnell „frostsicher“ gemacht werden, in dem Flüssigkeiten aus den Systemen ausgeschleust werden.
Der Druck in den Erdgaspipelines wird kontrolliert heruntergefahren und die Erdgasverdichter werden sukzessive abgestellt. Auch das Abfackeln (so genanntes Flaring) ist eine gängige Praxis, aber verschwenderisch und klimaschädlich.
Das Herunterfahren von Erdölanlagen ist vergleichsweise komplexer. Die Erdölbohrungen könnten zwar ebenfalls innerhalb von Stunden gedrosselt werden, aber die Leitungen müssten in Abhängigkeit des so genannten Stockpunkts leergemolcht werden, damit das Öl nicht fest wird und auch die Tankstände müssen runtergefahren werden.
WAS WÜRDE BEI DEN PIPELINES PASSIEREN?
Bei einem verminderten Erdgasstrom in den Pipelines könnten unterirdische Erdgasspeicher, in Abhängigkeit von Nachfrage und ihrem Füllstand, einen Teil der Mindermengen ausgleichen.
Aber die Logistik wäre übergreifend betroffen. Der physikalische Fluss von Erdgas kann nur bedingt in den Transportleitungen umgekehrt werden, sollte etwa das Gas in umgekehrter Richtung als zurzeit gepumpt werden müssen, also beispielsweise von West- nach Ostdeutschland (so genannter reverse-flow-Mechanismus). Dafür müssen Regelstationen und Verdichter für beide Richtungen vorhanden sein.
WAS GESCHÄHE AUF DEUTSCHEM BODEN?
In den Sommermonaten würde es wegen der geringeren Nachfrage der Verbraucher wenige Probleme geben. Es gibt auch umfangreiche Zuflüsse aus Nordseeanrainerstaaten und Süd- und Westeuropa.
Allerdings könnten dann regional bereits Mindermengen in den Pipelines anfallen, sollten dann schon russische Lieferungen gänzlich ausfallen. Der Gasnotfallplan müsste zur Speicherbildung genutzt werden, um die Leitungen bei großem Bedarf und bei beginnender Kälte ab Oktober damit zu versorgen. Es ist offen, ob die kommerziellen Anreize dazu reichen und welcher anderen technischen Lenkungswirkungen es bedarf, um die Moleküle zu den Verbrauchern zu bringen.
Technische Auswirkungen eines Importstopps russischen Gases
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.