Berlin, 11. Nov – Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kann 2023 bis zu 45,61 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen und trotzdem erstmals seit 2019 die Schuldenbremse im Grundgesetz einhalten. Mit diesem Ergebnis schloss der Haushaltsausschuss des Bundestages nach fast 18-stündiger Sitzung am frühen Freitag die Beratungen über den Etatentwurf ab.
Die Einhaltung der Schuldenbremse gelingt aber nur, weil sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP aus weiteren Töpfen bedienen kann, die sie zuvor mit neuen Schulden gefüllt hat. So sind neben dem regulären Haushalt über 80 Milliarden Euro für die Gas- und Strompreisbremse vorgesehen. Oppositionspolitiker warfen Lindner daher vor, die Schuldenbremse nur zum Schein zu wahren.
„Das Ergebnis lässt sich sehen“, sagte Lindner. Die Sondervermögen seien Folgen des Ukraine-Krieges und der Energiekrise: „Das sind aber krisenbedingte Ausgaben, die wir trennen von unserem regulären Bundeshaushalt.“ SPD-Haushälter Dennis Rohde verwies darauf, dass zur Einhaltung der Schuldenbremse auch gut 40 Milliarden Euro aus der sogenannten Asyl-Rücklage herangezogen würden, die sich unter der großen Koalition angesammelt hatte. Ein Rest von etwa sieben Milliarden bleibe für den Etat 2024. Im Jahr 2025 solle die Schuldenbremse dann ohne Zuhilfenahme von Rücklagen eingehalten werden.
ZINSAUSGABEN VERZEHNFACHEN SICH WOMÖGLICH
Bereits der Schuldendienst für alte Kredite belastet den Haushalt immer stärker. Steigende Zinsen und die hohe Inflation führen dazu, dass im Etat für 2023 nun fast 40 Milliarden Euro vorgesehen sind für Zinslasten. Das sind noch mal gut zehn Milliarden Euro mehr als noch im Sommer geplant. Das wäre zehnmal mehr als noch im Jahr 2021.
Lindner sprach von „Vorsorge, damit wir nicht am Ende von den Kapitalmärkten kalt erwischt werden“. FDP-Haushälter Otto Fricke sprach von „ein bisschen Essig im Wein“. Die Zinsen schränkten die Möglichkeiten immer stärker ein. Es gebe im Bildungsbereich zwar Rekordausgaben von etwa 21 Milliarden Euro: „Das ist die Hälfte dessen, was wir für Zinsen ausgeben werden.“
Mit der geplanten Nettokreditaufnahme von 45,61 Milliarden Euro wird der rechnerische Spielraum der Schuldenbremse bis auf wenige Millionen vollständig ausgenutzt. Davon sollen zehn Milliarden Euro zum Aufbau einer Aktienrente dienen. Das Geld soll am Kapitalmarkt angelegt werden und mit den Erträgen ab Mitte der 30er-Jahre die Rentenversicherung entlasten. Von 2020 bis 2022 war die Schuldenbremse wegen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg ausgesetzt worden. In diesen Jahren hat der Bund allein für die regulären Haushalte fast eine halbe Billion neue Schulden gemacht. Für das laufende Jahr sind im regulären Etat 138,9 Milliarden Euro an Nettoneuverschuldung vorgesehen.
Die Gesamtausgaben des Haushalts sind mit rund 476,3 Milliarden Euro geplant. Der Bundestag soll den Haushalt am 25. November verabschieden. Mit dem Haushalt wolle die Koalition „das klare Signal setzen, dass wir niemanden zurücklassen“, sagte Rohde. Er verwies unter anderem auf die für 2023 vorgesehene Ausweitung des Wohngeldes, die Anhebung des Kindergeldes und die Einführung des Bürgergeldes. Über Letzteres wird allerdings noch mit dem Bundesrat gerungen.
„Wir lassen in diesen Krisen niemanden allein, nicht in Deutschland, aber auch nicht international und auch keine Menschen im globalen Süden“, sagte Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. Dafür gebe es eine zusätzliche Milliarde jeweils beim Auswärtigen Amt und im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Nicht gelöst wurde im Ausschuss die Frage von Dividenden- oder Bonizahlungen in Unternehmen, die von Energiehilfen profitieren. Kindler wie auch Fricke sagten, es solle eine entsprechende Dividenden-Sperre geben. „Wie das im Detail dann aussehen wird, da hat die Regierung jetzt das Aufschlagrecht und muss uns was liefern“, so Fricke.
Vertreter der Opposition warfen der Koalition vor, bei der Schuldenbremse nur den Schein zu wahren. CDU-Haushälter Christian Haase sagte, mit dem Sondervermögen komme er „auf 300 Milliarden Euro neue Schulden im nächsten Jahr, die dann auch tatsächlich aufgenommen werden“. Im Ausschuss habe Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) zudem eingeräumt, dass „wahrscheinlich in keinem der nächsten fünf Jahre“ das Zwei-Prozent-Ausgabenziel der Nato erreicht werde.
„Das ist eigentlich eine reine Farce“, sagte AfD-Haushälter Peter Boehringer zur Schuldenbremse. Lindner agiere im „haushalterischen Notstand“, was auch zurückzuführen sei „auf auf die dümmste Energiepolitik der Welt“. Die AfD macht die Regierung für die hohen Energiepreise mitverantwortlich wegen der Sanktionen gegen Russland als Folge des Ukraine-Krieges.
Linken-Haushälterin Gesine Lötzsch forderte eine Steuerreform zur Besteuerung vor allem großer Vermögen. Die Bundesregierung tue viel zuwenig gegen eine Umverteilung von unten nach oben. Sie kritisierte den geplanten Erweiterungsbau des Kanzleramts, der derweil mit 777 Millionen Euro veranschlagt wird: „Ich glaube, da wäre mehr Bescheidenheit angesagt.“
Haushaltspolitiker aller Fraktionen sprachen von der längsten sogenannten Bereinigungssitzung seit vielen Jahren. Trotzdem ging es auch gesellig zu. „Hier und da wurde auch eine Flasche Wein oder auch ein Glas Bier miteinander getrunken“, sagte CDU-Politiker Haase. Das erste Mal seit der Corona-Pandemie sei die sogenannte Papierkneipe wieder richtig geöffnet gewesen. So nennen die Haushälter das Ausschuss-Sekretariat, in dem bei der Bereinigungssitzung Bier und Wein bereitstehen.
Sondertöpfe lassen Schuldenbremse 2023 greifen
Quelle: Reuters
Titelfoto: Bild von Mohamed Hassan auf Pixabay
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