Lwiw/Kiew/Brüssel, 26. Mrz (Reuters) – Vier Wochen nach der Invasion in die Ukraine scheint Russland angesichts massiver Probleme sein Vorgehen zu ändern: Das russische Verteidigungsministerium teilte am Freitag mit, dass die Armee 93 Prozent des Regierungsbezirks Luhansk und 54 Prozent des Bezirks Donetsk im Osten der Ukraine kontrolliere. „Das Hauptziel der ersten Phase der Operation ist damit erfüllt“, sagte Sergej Rudskoj vom russischen Oberkommando. Die ukrainischen Kräfte seien so weit geschwächt, dass man nun die Befreiung des Donbass in den Fokus nehmen könne.
Die russische Armee räumte ein, dass bisher 1351 russische Soldaten bei dem Angriff auf die Ukraine ums Leben gekommen sind. 3825 seien verletzt worden, berichtete die russische Agentur Interfax unter Berufung auf das Verteidigungsministerium. Nach Angaben westlicher Sicherheitskreise betragen die russischen Verluste aber ein Vielfaches dieser Zahlen. Insgesamt sollen bei den russischen Angriffen bereits Zehntausende gestorben sein. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Der mögliche Strategiewechsel Russlands könnte auch damit zusammenhängen, dass die russische Armee nach ihrem Einmarsch in die Ukraine zwar im Süden und Osten Geländegewinne erzielen konnte, an anderen Frontabschnitten aber zunehmend Probleme bekommt. Ukrainische Truppen haben nach britischen Angaben Städte und Verteidigungsstellungen bis zu 35 Kilometer östlich von Kiew zurückerobert. Allerdings soll die Kleinstadt Slawutytsch nördlich von Kiew nach Angaben der lokalen Behörden von russischen Truppen eingekesselt worden sein. In Slawutytsch leben Arbeiter, die an der Instandhaltung des stillgelegten Atomkraftwerks Tschernobyl beteiligt sind.
Russland hat nach US-Angaben zudem massive Probleme mit seinen präzisionsgelenkten Raketen. Die beim Angriff auf die Ukraine benutzten Hightech-Waffen kämen auf Ausfallquoten von bis zu 60 Prozent, sagten US-Regierungsvertreter mit Verweis auf Geheimdienstinformationen der Nachrichtenagentur Reuters. Das russische Verteidigungsministerium wiederum teilte laut einem russischen Agenturbericht zudem mit, man habe ein großes Treibstofflager in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew durch Raketenbeschuss zerstört.
Die ukrainische Regierung hoffte am Freitag auf die Öffnung eines Fluchtkorridors für die eingekesselte Hafenstadt Mariupol. Er soll für Zivilisten offen stehen, die die Stadt mit einem Privatfahrzeug verlassen können. Mariupol mit einst 400.000 Einwohnern zählt zu denen am stärksten von russischen Angriffen zerstörten ukrainischen Städten. Die Beobachter des UN-Menschenrechtsteams in der Ukraine erhalten nach eigenen Angaben vermehrt Hinweise auf Massengräber in Mariupol. In einem Grab sollen 200 Leichen liegen, sagte die Leiterin der Beobachtergruppe, Matilda Bogner. Mehr als 1035 Zivilisten seien in der Stadt getötet worden.
Bei den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gab es nach Angaben eines russischen Unterhändler keine entscheidenden Fortschritte. Die Gespräche sollen am Samstag fortgesetzt werden.
Die Ukraine und westliche Länder sprechen von einem Angriffskrieg und einer russischen Invasion im Nachbarland, die am 24. Februar begonnen hat. Russland bezeichnet sein Vorgehen in der Ukraine dagegen als Spezialoperation zur Zerstörung militärischer Stützpunkte sowie zur Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine.
EU SAGT UKRAINE HILFE ZU UND BESTELLT GAS IN DEN USA
Vom EU-Gipfel gab es für die Ukraine erneut keine Beitrittszusage, sondern in einem Beschluss in der Nacht zu Freitag wurden nur „die europäischen Bestrebungen und die europäische Entscheidung der Ukraine“ betont. Auf dem Gipfel wurde beschlossen, einen internationalen Wiederaufbaufonds für die Ukraine einzurichten. Dazu solle es eine internationale Geberkonferenz geben. Ziel sei der Wiederaufbau einer demokratischen Ukraine.
Die Nato, G7 und EU hatten am Donnerstag auf ihren Gipfeln in Brüssel von Russland ein sofortiges Ende der Kämpfe gefordert. Am zweiten Gipfeltag debattierten die EU-Staats- und Regierungschefs, wie man auf die hohen Energiepreise reagieren soll. Dabei wurde aber nur ein Arbeitsauftrag an die EU-Kommission erwartet.
Die EU und die USA schlossen in Brüssel ein Abkommen, nach dem die USA in diesem Jahr mehr als 15 Milliarden Kubikmeter amerikanischen LNG-Gases zusätzlich nach Europa liefern sollen. Bis 2030 soll dies auf 50 Milliarden Kubikmeter steigen, was nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Drittel dessen wäre, was die EU-Staaten heute von Russland beziehen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, dass man im Sommer 2024 unabhängig von russischem Gas werde. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte, dass Russland künftig auf der Bezahlung von Gas und Öl in Rubel bestehen werde. Westliche Länder lehnen das ab.
Russland ändert Taktik im Ukraine-Krieg und will Donbass erobern
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.