Sonntag, Dezember 22, 2024
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Rechnen mit dem Unberechenbaren – Der Krieg in den Bilanzen

München, 08. Mrz (Reuters) – Spätestens im April schlägt für viele Unternehmen die Stunde der Wahrheit. In den Jahresabschlüssen der meisten Firmen für 2021 spielte der Krieg in der Ukraine keine Rolle, weil der russische Angriff am 31. Dezember noch nicht abzusehen war.

Doch im ersten Quartal kommen sie und ihre Wirtschaftsprüfer nicht mehr darum herum, sich mit den direkten und indirekten Folgen für ihre Bilanzen auseinanderzusetzen, wie der Vorstandssprecher des Wirtschaftsprüferverbandes IDW, Klaus-Peter Naumann, zu Reuters sagt. Doch nur in wenigen Fällen ist die Beurteilung so klar wie bei der neuen Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2, die die an der Finanzierung beteiligten westlichen Konzerne wie Uniper und Wintershall schon komplett abgeschrieben haben – jeweils rund eine Milliarde Euro.

„Wie groß die Betroffenheit ist, wird man für jeden Einzelfall getrennt beurteilen müssen“, sagt Naumann. „Alles dreht sich um die Grundsatzfrage, ob der Wertverlust oder der Zahlungsausfall dauerhaft oder nur temporär ist.“ Die Antwort darauf könne heute anders ausfallen als in einigen Monaten. „Da werden wir uns von Quartal zu Quartal vorantasten müssen. Diese Unsicherheit können wir als Prüfer dem Markt nicht nehmen.“

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat am Dienstag eine 21-seitige Handreichung veröffentlicht, wie mit dem Krieg in der Ukraine bilanziell umzugehen ist. Denn auch für viele Wirtschaftsprüfer sind die Fragestellungen, die der Krieg und die Sanktionen mit sich bringen, neu: Wie bewertet man Fabriken in der Ukraine, die wie beim Autozulieferer Leoni wegen des Krieges vorerst nicht mehr produzieren und liefern können? Was tun mit ausstehenden Rechnungen für Züge, die nach Russland geliefert wurden und wegen der Finanz-Sanktionen erst einmal nicht bezahlt werden können? Oder mit geschlossenen Sportgeschäften von Puma oder Adidas, die sich vorerst aus Russland zurückgezogen haben?

Der Versorger Uniper hat den Verkauf der russischen Tochter Unipro erst einmal auf Eis gelegt – für wie lange, ist ungewiss. Der Betreiber von fünf Kohle- und Gaskraftwerken steht immerhin für knapp 20 Prozent des operativen Gewinns von Uniper. Auch Verstaatlichungen ausländischen Besitzes werden inzwischen für möglich gehalten. „Nicht alle Engagements in Russland müssen wegen der Sanktionen automatisch und vollständig abgeschrieben werden“, sagt Naumann.

Schließlich sind nicht alle Zahlungsflüsse gekappt. Und nach dem Krieg dürfte zumindest die russische Seite großes Interesse haben, die Geschäfte mit dem Westen wieder zu beleben. Wer in der Vergangenheit in Russland zugekauft und den Firmenwert (Goodwill) in der Bilanz aktiviert hat, muss aber zumindest überprüfen, ob der Ansatz noch haltbar ist. „Die Wirtschaftsprüfer richten sich zunächst nach den Annahmen des Managements“, sagt der Verbandschef. Sind sie noch realistisch oder plausibel, optimistisch oder zu pessimistisch? „Wir unterstützen dabei, dass keine falschen Entscheidungen getroffen werden, weil Risiken über- oder unterschätzt werden.“

IDW: AUF PROGNOSEN NICHT EINFACH VERZICHTEN

Der IDW-Chef rechnet damit, dass die indirekten Folgen des Krieges vor allem für große Unternehmen deutlich größer sind als die unmittelbaren – etwa über Energiepreise, die Beschaffung von Rohstoffen oder die Unterbrechung von Lieferketten.

In die Prognosen für das laufende Jahr muss das einfließen – mit Verweis auf den Krieg ganz auf einen Ausblick verzichten dürfen die Unternehmen laut IDW aber nicht. Auch eine Korrektur der Prognosen, die nur pauschal mit dem Krieg begründet wird, ohne die Risiken konkret zu benennen, sollen die Prüfer nicht gelten lassen. Der Autozulieferer Schaeffler erklärte seine zwei Tage vor dem russischen Angriff abgegebene Prognose nun zur Makulatur.

„Aus heutiger Sicht sind weder der weitere Verlauf noch die wirtschaftlichen Auswirkungen verlässlich abzuschätzen“, hieß es in der Mitteilung. Der Saatguthersteller KWS Saat, der in der Ukraine und in Russland nicht nur zehn Prozent des Umsatzes erwirtschaftet, sondern auch produziert, schraubte seine Umsatz- und Margenerwartung zurück. Die Aussaat – und damit auch die Ernte – droht im Kriegsgebiet auszufallen.

Rechnen mit dem Unberechenbaren – Der Krieg in den Bilanzen

Copyright: (c) Copyright Thomson Reuters 2022

Titelfoto: Symbolfoto

Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.

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