London/Frankfurt, 11. Okt – Die Notenbank in London bekämpft mit erneuten Not-Anleihekäufen Gefahren für die Finanzstabilität und steuert auf eine kräftige Zinserhöhung zu. Zur Beruhigung der Anleger kündigte die Bank of England (BoE) am Dienstag den Kauf inflationsgeschützter Papiere an. Diese werden in der Regel von Pensionsfonds gehalten.
Der neue britische Finanzminister Kwasi Kwarteng hat im vergangenen Monat trotz Rezessionssorgen der Notenbank mit Plänen für schuldenfinanzierte Steuersenkungen Zweifel an der Finanzierbarkeit dieser Entlastungen geschürt. Milliardenschwere Geldspritzen der BoE beruhigten die Lage nur kurzfristig.
In mehreren Wellen kam es daraufhin immer wieder zu einem Ausverkauf am Anleihenmarkt – auch jüngst wieder. Laut der Notenbank entstand dadurch eine „materielle Gefahr“ für die Finanzstabilität, der sie mit den zusätzlichen Notmaßnahmen begegnen will.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) erneuerte seine Kritik am Vorgehen der Regierung, die mit ihren Steuer- und Ausgabenplänen der BoE bei der Inflationsbekämpfung in die Quere komme. Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Pierre-Olivier Gourinchas sagte, die Zentralbank versuche die Geldpolitik zu straffen, während die Regierung die Gesamtnachfrage ankurbeln wolle: „Es ist, als hätten Sie ein Auto mit zwei Personen vorne und jeder versucht, den Wagen in eine andere Richtung zu steuern. Das wird nicht sehr gut funktionieren.“
Kwarteng sieht sich allerdings in seiner Linie durch den IWF auch in gewisser Weise bestätigt. Er verwies darauf, dass der Fonds seine Wachstumserwartungen für Großbritannien aufgrund der von ihm im vergangenen Monat angekündigten Finanzpolitik erhöht habe. Der IWF erwartet, dass das britische Fiskalpaket das Wachstum voraussichtlich „etwas ankurbeln“ wird – über seine Prognose für ein Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent im Jahr 2023 hinaus, die der Fonds noch vor Kwartengs Ankündigung im September abgeschlossen hatte.
Regierungschefin Liz Truss ließ mitteilen, die Notmaßnahmen der Zentralbank stünden im Einklang mit dem Ziel der Finanzstabilität. Die Frage, ob das vorübergehende Kaufprogramm wie geplant am 14. Oktober enden soll, will die Regierungschefin der unabhängigen Zentralbank überlassen. „Die Notwendigkeit, dass diese eingreift, ist ein Zeichen dafür, wie verunsichert die britischen Märkte nach Trussonomics sind“, sagte Chefvolkswirt Holger Schmieding von der Berenberg Bank in London Mit Trussonomics wird der wirtschaftspolitische Kurs der konservativen Premierministerin umschrieben, die mit Steuersenkungen die Wirtschaft ankurbeln will. Offen ist, ob durch die Pläne die Verschuldung weiter ansteigt oder sich die Maßnahmen alleine tragen, wie es die Regierung hofft.
„CHAOTISCH UND PANISCH“
Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com, kritisierte, das Krisenmanagement der BoE wirke „chaotisch und panisch“. Die BoE werde sicher noch öfter eingreifen müssen, um Schlimmeres zu verhindern.
Die Notenbank steht auch geldpolitisch unter Zugzwang, da die Inflationsrate im Zuge der Energiekrise mit zuletzt 9,9 Prozent weit über das Stabilitätsziel der Währungshüter von 2,0 Prozent hinausgeschossen ist. Die BoE hat den Leitzins bereits von 0,1 Prozent im vergangenen Dezember auf ihr aktuelles Niveau von 2,25 Prozent angehoben.
An den Finanzmärkten wird für den Zinsentscheid am 3. November auf eine Erhöhung um einen vollen Prozentpunkt spekuliert. Einige Investoren halten sogar einen Anstieg um 1,25 Prozentpunkte für möglich. Sie sehen die Wahrscheinlichkeit hierfür bei etwa 25 Prozent. Mit einem solchen drastischen Schritt könnte sich die BoE auch gegen die inflationären Auswirkungen von Kwartengs Steuersenkungen stemmen.
BoE greift zu Notmaßnahmen – IWF sieht Regierung und Notenbank überkreuz
Quelle: Reuters
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