Berlin, 27. Feb (Reuters) – Der russische Angriff auf die Ukraine führt in Deutschland zu einem Umdenken bei den Verteidigungsausgaben. Im Bundestags-Wahlkampf hatten vor allem Teile der SPD und die Grünen das Nato-Ziel kritisiert, dass bis 2024 alle Mitgliedstaaten ihre Militärausgaben auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftskraft erhöhen sollten.
Nun kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, noch in diesem Jahr ein Sondervermögen über 100 Milliarden Euro zur besseren Ausstattung der Bundeswehr im Grundgesetz zu verankern. „Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“, sagte der Kanzler vor dem Bundestag. Was bedeutet das für den Verteidigungsetat, den Bundeshaushalt und die Schuldenbremse?
VERTEIDIGUNGSETAT: Gemessen an der Wirtschaftsleistung Deutschlands im Vor-Corona-Jahr 2019 bedeutet das Zwei-Prozent-Ziel rund 70 Milliarden Euro Ausgaben jährlich. Davon ist der Wehretat mit derzeit etwa 1,5 Prozent weit entfernt – trotz enormen Ausgabenzuwachses in den zurückliegenden Jahren. Seit 2012 sind rund 51,7 Milliarden Euro zusätzlich in den Verteidigungsetat geflossen. Der Etatansatz stieg von 32,5 Milliarden Euro (2012) auf 46,9 Milliarden Euro (2021). Das entspricht einem Anstieg um 44 Prozent seit dem Jahr 2012.
Finanz- und Haushaltspolitiker verweisen darauf, dass eine höhere Verteidigungsfähigkeit nicht nur eine Frage des Geldes sei. Das Finanzministerium werde auch die Effizienz des Mitteleinsatzes hinterfragen müssen, hieß es aus der Ampel-Koalition. Die Gelder würden oft nicht gut eingesetzt, die Beschaffung von Ausrüstung sei „unterirdisch“.
BUNDESHAUSHALT: Dem Bundeshaushalt brocken Corona, Klimakrise und Krieg neue Schulden in noch nie dagewesener Höhe ein. Bereits im ersten Jahr der Pandemie wurde die Schuldenbremse ausgesetzt: Auf rund 130 Milliarden Euro belief sich die Neuverschuldung am Ende des Jahres 2020.
Im Jahr darauf kamen gut 215 Milliarden Euro hinzu. Davon verschob die neue Ampel-Koalition mit einem zweiten Nachtragshaushalt 60 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds, der einst als Sondervermögen zur Finanzierung der Energiewende angelegt wurde.
Für 2022 wollte die Ampel die Neuverschuldung bei knapp 100 Milliarden Euro deckeln und ein letztes Mal die Schuldenbremse aussetzen. Durch die wirtschaftlichen Folgen des Krieges, die Sanktionen gegen Russland und zahlreiche weitere Corona-Hilfen und Entlastungen bei den Energiekosten läuft es nun nach Einschätzung aus der Bundesregierung auf neue Schulden von mehr als 200 Milliarden Euro hinaus – 100 Milliarden Euro für ein Sondervermögen Bundeswehr inbegriffen.
SONDERVERMÖGEN: Das Sondervermögen Bundeswehr soll – anders als etwa der Energie- und Klimafonds – laut Scholz im Grundgesetz verankert werden. Das bedeutet: In Bundestag und Bundesrat wären die Ampel-Parteien SPD, FDP und Grüne auf die Zustimmung der Union angewiesen, um auf die für eine Änderung der Verfassung erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheiten zu kommen.
Die Idee gehe auf den Bundeskanzler zurück, erfuhr Reuters aus Regierungskreisen. Mit diesem Gedanken habe sich Scholz schon eine Weile getragen. Anders als Teile seiner Partei – wie etwa Fraktionschef Rolf Mützenich – hatte Scholz im Wahlkampf dem Zwei-Prozent-Ziel nie öffentlich eine Absage erteilt – sich aber ebensowenig dazu klar bekannt. Als Finanzminister trug er steigende Ausgaben für die Verteidigung mit.
Finanz-Staatssekretär Florian Toncar (FDP) sagte Reuters, das Sondervermögen werde formell von der Haushaltsaufstellung getrennt, werde aber „politisch natürlich dabei mitgedacht“. Es solle zügig durch das Grundgesetz abgesichert, dann durch Gesetz errichtet und mit einer Kreditermächtigung von 100 Milliarden Euro ausgestattet werden. „Diese Mittel werden umgehend in voller Höhe zur Finanzierung von militärischen Investitionen zur Verfügung stehen – zusätzlich zu den allgemeinen Verteidigungsausgaben im Bundeshaushalt“, sagte Toncar.
Bei dem Ziel, dass ab 2023 die Schuldenbremse wieder greifen soll, bleibt es. Die Kreditaufnahme für das Sondervermögen werde in voller Höhe 2022 verbucht, so der Finanz-Staatssekretär: „Daher bestehen keine Auswirkungen des Sondervermögens auf die nach der Schuldenbremse zulässigen Obergrenzen für die Kreditaufnahme ab 2023.“
Corona, Klima, Krieg – Rekordschulden im Bundesetat
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