Update Berlin, 28. Okt – Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal trotz der Energiekrise überraschend gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Juli bis September im Vergleich zum Vorquartal um 0,3 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in einer ersten Schätzung mitteilte. Das kommt überraschend: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Rückgang von 0,2 Prozent gerechnet. Sie sagten in ersten Reaktionen:
THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:
„Was für eine positive Überraschung! Die deutsche Wirtschaft hielt sich über Wasser. Oder um es anders zu formulieren: Totgesagte leben länger. Die Rezession in Deutschland aber auch der Euro-Zone verschiebt sich damit. Der Wegfall der meisten Corona-Schutzmaßnahmen sorgte in manchen Dienstleistungsbranchen für steigende Umsätze. Dazu zählt insbesondere das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie die Veranstaltungsbranche. Vermutlich konnten auch die Industrie und der Bau ihre Produktion über den Sommer hinweg etwas steigern. Die Materialknappheiten lichteten sich zuletzt etwas. Es waren mehr Rohstoffe und Vorprodukte verfügbar.“
JENS-OLIVER NIKLASCH, LBBW:
„Absolut verblüffend. So viele Indikatoren zeigen, dass sich die Konjunktur seit Monaten deutlich verlangsamt, und jetzt sehen wir im dritten Quartal sogar eine Wachstumsbeschleunigung. Wahrscheinlich haben hier zwei Effekte – der Nachhall des Corona-Reopening und das Füllhorn des sommerlichen Entlastungspakets – so stark gewirkt, dass die negativen Faktoren des Energiepreisanstiegs und des Ukraine-Kriegs überkompensiert worden sind. Als Ökonom muss man da erst einmal seinen Kompass neu justieren. Die Rezession dürfte zwar jetzt im Winter doch kommen, aber womöglich wird sie nicht so gravierend wie zunächst befürchtet.“
ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT HAUCK AUFHÄUSER LAMPE PRIVATBANK:
„Die deutsche Wirtschaft hat sich trotz der miserablen Stimmung gut gehalten. Dass es der Konsum gewesen sein soll, der das Wachstum getragen hat, ist aber fast nicht zu glauben. Durch den Zuwachs hat sich die Fallhöhe für das laufende Quartal vergrößert. Unsicherheit und zahlreiche Belastungsfaktoren werden die Lage im Winterhalbjahr verschärfen.“
FRITZI KÖHLER-GEIB, CHEFVOLKSWIRTIN KFW:
„Im dritten Quartal ist das deutsche BIP überraschend gewachsen, aber für dieses und nächstes Quartal zeigen praktisch alle Indikatoren eine Rezession an. Allein durch die Energiekrise hat die deutsche Volkswirtschaft schon schwer zu schaffen und zunehmend macht es sich auch konjunkturell bemerkbar, dass die Zentralbanken weltweit angesichts viel zu hoher Inflationsraten auf die Bremse treten. Aber es gibt auch einige Faktoren, die für eine nur relativ flache Rezession sprechen, wie die geschrumpfte Wahrscheinlichkeit einer Gasmangellage in diesem Winter, der im Vergleich zum August wieder deutlich gesunkene Großhandelspreis für Gas oder die recht umfangreichen Entlastungspakete.“
ULRICH KATER, CHEFVOLKSWIRT DEKABANK:
„Trotz des überraschend kräftigen Ergebnisses für das dritte Quartal wird eine Rezession in Deutschland für das Winterhalbjahr nicht aufzuhalten sein. Es wird eine Rezession mit Ansage und daher eine untypische Rezession sein. Wie schon zu Coronazeiten wird sie zeitlich begrenzt bleiben. Die Unternehmen sind auch dank staatlicher Unterstützung gut vorbereitet und es werden kaum Arbeitsplätze verloren gehen.“
JÖRG KRÄMER, CHEFVOLKSWIRT COMMERZBANK:
„Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist im dritten Quartal überraschend noch einmal gewachsen – vor allem wegen des privaten Verbrauchs. Aber das dürfte nur die Ruhe vor dem Sturm sein. Denn die hohe Inflation lässt die Kaufkraft der Konsumenten einbrechen. Wichtige Frühindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima sind bereits auf Niveaus gefallen, bei denen es in der Vergangenheit zu einer Rezession gekommen war. Alles spricht für ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im Winterhalbjahr.“
Volkswirte zum überraschenden BIP-Wachstum im Sommerquartal
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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