Berlin, 10. Okt – Die von der Gaspreiskommission geplante Entlastung der Verbraucher vor den hohen Energiekosten stützt Experten zufolge die Konjunktur und dämpft die Inflation. Die Entlastung der Privathaushalte dürfte bis Frühjahr 2024 bei etwa 35 Milliarden Euro liegen, sagte der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, am Montag der Nachrichtenagentur Reuters.
Das stütze die Kaufkraft und federe den befürchteten Konsumrückgang über den Winter ab. „Da viele Haushalte ohne diese Unterstützung ihren Konsum zurückgefahren hätten, könnte dies das Wirtschaftswachstum um knapp einen Prozentpunkt stützen“, sagte Dullien. „Gleichzeitig dürfte die Inflation 2023 bei Umsetzung der Gaspreisbremse um mehrere Prozentpunkte geringer ausfallen, als das sonst der Fall gewesen wäre.“
Die Expertenkommission schlägt Insidern zufolge ein zweistufige Lösung vor: Demnach ist im Dezember eine Erstattung in Höhe einer Monatsabschlagzahlung vorgesehen, der ab März oder April eine Gaspreisbremse folgen soll, bei der jeder Kunde ein staatlich gefördertes Kontingent von bis zu 80 Prozent des prognostizierten Verbrauchs von September 2022 erhält.
„Die volle Erstattung der Nebenkosten bietet gerade keine Einsparanreize und fördert reiche Haushalte mit hohen Energieverbräuchen besonders stark“, kritisierte Ökonom Jens Südekum vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie. „Beides geht in die falsche Richtung.“ Insgesamt räche sich jetzt das späte Handeln der Politik. „Hätte die Kommission früher mit der Arbeit beginnen dürfen, wäre der sinnvolle Preisdeckel vielleicht schon vor Weihnachten einsatzbereit gewesen“, sagte Südekum. „So müssen Haushalte und Unternehmen länger warten und werden bis dahin mit einer zweifelhaften Sonderzahlung beruhigt.“ Direkte Erstattungen von Gasrechnungen könnten nur eine Überbrückung sein, da sie kaum Anreize zum Sparen bieten und nicht zielgenau sind, sagte auch DIW-Präsident Marcel Fratzscher.
„DEUTSCHLAND IST ÄRMER GEWORDEN“
Das vorgeschlagene Modell habe Schwächen, sagte auch Dullien. „Der vorgeschlagene pauschale 80-Prozent-Rabatt entlastet Haushalte mit hohem Gasverbrauch deutlich stärker als jene mit geringem Gasverbrauch“, so der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts. „Das ist besonders problematisch bei den Hocheinkommenshaushalten mit hohem Gasverbrauch, etwa den Bewohnern von Villen aus den 1970er Jahren mit Schwimmbad.“ Im Durchschnitt dürften Haushalte aus den oberen Einkommensdezilen hier etwa anderthalb mal so große Rabatte bekommen wie Haushalte in den unteren Bereich. „Bei den Spitzenverbrauchern dürfte dieses Verhältnis noch einmal ein Mehrfaches höher ausfallen“, sagte Dullien.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer findet zwar gut, dass die Gaspreisbremse nur für einen Teil des Verbrauchs gelten soll. „Damit bleiben die Anreize zum Gassparen bestehen, wenn die Bürger auf die Kosten des zusätzlichen Gasverbrauchs schauen.“ Allerdings bestehe das Risiko, dass viele Bürger auf die durchschnittlichen Kosten schauten und wegen der Gaspreisbremse weniger sparten.
Ohnehin könnten staatliche Hilfen die Bürger nur kurzfristig entlasten. „Sie können nämlich nichts daran ändern, dass Deutschland als Nettoimporteur von Energie durch die gestiegenen Energiepreise ärmer geworden ist“, sagte Krämer. In dieser Situation könne ein Staat nur einzelne bedürftige Gruppen entlasten. „Greift er trotzdem zu breitangelegten Hilfen, facht er die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit am Ende die Inflation an, unter der alle leiden“, warnte der Chefvolkswirt.
Lob und Kritik für Gaspreisbremse – „Entlastet Villenbesitzer stärker“
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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