Brüssel/Lwiw, 07. Apr (Reuters) – In Erwartung einer befürchteten russischen Großoffensive im Osten und Südosten der Ukraine sagt die Nato der Regierung in Kiew weitere Waffenlieferungen zu. Dies machte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach Beratungen der Nato-Außenminister am Donnerstag in Brüssel deutlich.
Dabei gehe es um eine „große Bandbreite verschiedener Waffensysteme“. Konkreter wollte Stoltenberg nicht werden. An dem Treffen nahm auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba teil. Sein Land brauche jetzt vor allem „Waffen, Waffen und Waffen“, sagte er und nannte Kampfflugzeuge, Luftabwehr-Systeme und gepanzerte Fahrzeuge.
„Wir wissen, wie man kämpft, wir wissen, wie man gewinnt“, sagte Kuleba. Aber ohne schwere Waffen werde das Leid seines Landes nur verlängert. Vor allen Dingen müsse es jetzt schnell gehen. Entweder der Westen helfe der Ukraine in den kommenden Tagen oder es werde zu spät sein. Die bevorstehende Schlacht um den Donbass im Osten seines Landes werde an den Zweiten Weltkrieg erinnern. Die Sanktionen des Westens gegen Russland seien zwar zu begrüßen, aber sie seien nicht genug, um den Krieg zu beenden. Dennoch bekräftigte Kuleba die Forderung nach einem sofortigen Importstopp von russischem Öl und Gas.
Stoltenberg sagte, die Ukraine müsse in der Lage sein, der russischen Aggression zu widerstehen. Auch er sagte, im Donbass stehe eine russische Offensive bevor. Der Krieg werde noch Wochen dauern, womöglich Monate, vielleicht sogar Jahre. Die Nato tue zugleich aber alles, um eine Eskalation zu vermeiden. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte in Brüssel, Deutschland werde die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine weiter unterstützen. Für Mai lud sie die Nato-Minister zu einem informellen Treffen nach Berlin ein. Es gehe jetzt darum, sich angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands sehr eng abzustimmen.
Russland zieht derzeit seine Truppen im Osten und Süden der Ukraine zusammen, nachdem die Streitkräfte aus dem Großraum Kiew abgezogen waren. Nach Erkenntnissen des britischen Geheimdienstes kam es in dem Gebiet am Donnerstag wieder zu schwerem Artilleriebeschuss und Luftangriffen. Der Bürgermeister von Dnipro rief Frauen, Kinder und Ältere dazu auf, die zentralöstliche Großstadt zu verlassen, da mit einer Verschärfung der Kämpfe zu rechnen sei. „Die Lage im Donbass heizt sich nach und nach auf, und der April wird wohl recht intensiv“, sagte Borys Filatow in einer Online-Videoansprache. Dnipro kommt normalerweise auf etwa eine Million Einwohnerinnen und Einwohner. Es blieb von heftigen Kämpfen und Beschuss bislang verschont.
Stoltenberg hatte in Aussicht gestellt, dass die Nato die Zeit der Neuaufstellung der russischen Verbände nutzen werde, um die Ukraine mit entsprechenden Waffen zu versorgen. Die Ukraine gehört dem Militärbündnis nicht an, nahm aber dennoch an den Beratungen in Brüssel teil. Zudem eingeladen waren die Nicht-Mitglieder Finnland und Schweden sowie Australien, Georgien, Japan, Südkorea und Neuseeland.
SELENSKYJ EMPFÄNGT VON DER LEYEN AM FREITAG
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte weitere Sanktionen gegen Russland, die derart lähmend sein müssten, dass die Regierung in Moskau zur Beendigung des Krieges gezwungen sei. Die demokratische Welt müsse aufhören, russisches Öl und Gas zu kaufen, sagte Selenskyj in einer Videoansprache. Russische Banken müssten zudem komplett vom internationalen Finanzsystem ausgeschlossen werden. Am Freitag empfängt Selenskyj nach Angaben eines Sprechers EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Kiew.
Es scheine immer noch so, als sei dem Westen der wirtschaftliche Wohlstand wichtiger als die Ahndung von Kriegsverbrechen, sagte Selenskyj mit Blick auf die Geschehnisse in Butscha. Er habe Informationen, wonach die Russen ihre Taktik verändert hätten und zivile Opfer nun verschwinden ließen, um keine Spuren von Kriegsverbrechen zu hinterlassen, sagte Selenskyj, ohne dafür allerdings Beweise vorzulegen.
Die G7-Außenminister forderten, die Verantwortlichen für die Geschehnisse zur Rechenschaft zu ziehen. Die Regierung in Moskau bestreitet die Tötung von Zivilisten und wirft der Ukraine vor, die Geschehnisse konstruiert zu haben, um weitere Sanktionen gegen Russland zu provozieren und laufende Gespräche beider Seiten zu torpedieren.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor mittlerweile sechs Wochen sind mehr als vier Millionen Menschen ins Ausland geflohen, Tausende wurden getötet oder verletzt. Ein Viertel der Ukrainer haben ihr Zuhause verloren, mehrere Städte sind zerstört. Der Westen hat mit scharfen Sanktionen auch gegen die russischen Eliten reagiert.
Die Europäische Union steht kurz vor der Verabschiedung einer fünften Verschärfung der Sanktionen. „Vielleicht diesen Nachmittag, spätestens morgen“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Vorgesehen ist darin unter anderem ein Stopp der Kohle-Importe aus Russland. Die Regierung in Moskau hat verboten, von einem „Krieg“ zu sprechen. Sie nennt den Einsatz wahlweise eine „Sonderoperation“ oder eine „Friedensmission“.
Nato sagt Ukraine mehr Hilfe zu
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