Berlin, 18. Aug (Reuters) – Wegen steigender Materialkosten und stark anziehender Zinsen sinkt die Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland. Im ersten Halbjahr 2022 gaben die Behörden grünes Licht zum Bau von insgesamt 185.772 Wohnungen und damit 2,1 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Allein im Juni sank die Zahl um 4,5 Prozent auf 30.425 Genehmigungen. Trotz des Bedarfs gerade an bezahlbarem Wohnraum sei die Nachfrage nach Wohnungen rückläufig, erklärte Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB). „Grund dafür sind die seit Kriegsbeginn explodierenden Rohstoffpreise sowie die höheren Zinsen.“
Die Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP will dafür sorgen, dass pro Jahr 400.000 Wohnungen gebaut werden. Allerdings klagen die Baufirmen auch als Folge des russischen Einmarsches in die Ukraine über Materialmangel. Stahl, Dämmstoffe, Ziegelsteine: Die Lieferengpässe auf deutschen Baustellen sind so groß wie selten. „Wir befürchten, dass sich die ernüchternde Wohnungsbau-Bilanz 2021 von nur 293.000 fertiggestellten Wohnungen aufgrund der neuen Marktrealitäten in diesem Jahr fortsetzen wird“, sagte HDB-Experte Müller. „Die hohen Preise können sich viele private Bauherren nicht mehr leisten.“
Die Immobilienbranche warnt bereits vor einem Ende des Baubooms. Der Wohnungsneubau breche massiv ein, teilte der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) jüngst zu einer Umfrage unter seinen rund 1600 Mitgliedern mit. Die meisten Unternehmen stellten ihre geplanten Projekte zurück oder hätten sie bereits ganz aufgegeben. „Das ist keine Delle beim Neubau, das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche“, erklärte BFW-Präsident Dirk Salewski Ende Juli.
Die Gewerkschaft IG BAU spricht von einem erheblichen Mangel vor allem bei Sozialwohnungen und bei bezahlbaren Wohnungen in weiten Teilen Deutschlands. Nun müsse man den Umbau vorhandener Nicht-Wohngebäude zu Wohnungen vorantreiben, sagte Gewerkschaftschef Robert Feiger. „Allein durch den Umbau von Büros, die durch das Etablieren vom Homeoffice nicht mehr gebraucht werden, könnten bis zu 1,9 Millionen neue Wohnungen entstehen.“ Auch die Dachaufstockung bei älteren Wohnhäusern biete enormes Potenzial. „Rund 1,5 Millionen neue Wohnungen sind allein hier durch On-Top-Etagen möglich – und ebenfalls günstiger als jeder Neubau.“
In neu zu errichtenden Wohngebäuden wurden von Januar bis Juni 2022 insgesamt 161.177 Einheiten genehmigt und damit 2,1 Prozent oder 3425 weniger als vor Jahresfrist. Dabei ging die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser um 17 Prozent auf 41.765 zurück, während sie bei den Zweifamilienhäusern um 1,6 Prozent auf 16.622 stieg und bei den Mehrfamilienhäusern um 7,8 Prozent auf 99.755 kletterte.
Weniger Baugenehmigungen im Halbjahr – Ziel der Koalition in weiter Ferne
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