Brüssel, 25. Mrz (Reuters) – Wenn US-Präsident Joe Biden am Freitag Polen besucht, hat er ein politisches Geschenk dabei: Noch in Brüssel hat er sich am Donnerstag hinter die polnische Forderung gestellt, Russland aus dem G20-Klub der wichtigsten Industrienationen der Welt zu werfen. Damit reagiert er auf die russische Invasion in der Ukraine, die der britische Premierminister Boris Johnson als Grenzüberschreitung zur „Barbarei“ bezeichnet.
Tatsächlich muss die westliche Staatengemeinschaft in den kommenden Wochen die Frage klären: Wie soll sie mit Russland und vor allem dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in internationalen Organisationen umgehen? Immerhin macht sie Putin persönlich für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. Dabei zeigen sich auch Differenzen zwischen den großen EU-Staaten und den USA.
Denn die Biden-Forderung wird zwar auch von deutschen Politikern geteilt – aber nicht unbedingt von der Bundesregierung. Das Pochen auf Werte-Prinzipien und die Realpolitik knallen aufeinander. In der am Donnerstag unter deutschem Vorsitz verabschiedete G7-Erklärung heißt es nur, dass es mit Russland in internationalen Organisationen und multilateralen Foren kein ‚business as usual‘ geben dürfe.
EU-Diplomaten verweisen darauf, dass die westlichen G7-Demokratien zwar den ehemaligen G8-Partner Russland 2014 nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim ohne Probleme verbannen konnten. Aber die G20 seien ausdrücklich nicht als Club der gleichgesinnten Demokratien gegründet worden – ähnlich wie die UN übrigens. Russland ist zudem in allen internationalen Organisationen von der Welthandels- bis zur Weltgesundheitsorganisation vertreten.
DEUTSCHE POLITIKER BEFÜRWORTEN AUSSCHLUSS
Dennoch stößt die Ausschluss-Forderung auch auf Zustimmung. „Wer einen furchtbaren Angriffskrieg zu verantworten hat, tagtäglich das Völkerrecht bricht und ein Kriegsverbrechen an das andere reiht, kickt sich selbst aus einer solchen Gemeinschaft“, sagt etwa der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), Reuters am Freitag. „Ich halte es für unvorstellbar, dass Putin im Kreise der führenden Industrienationen als Gleicher unter Gleichen empfangen und eingebunden wird“, betont auch der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, gegenüber Reuters. „Deshalb wäre ein Ausschluss konsequent.“ Der neue Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, teilt diese Meinung. „Putin hat sich von der zivilisierten Welt verabschiedet“, sagt er Reuters. Putin halte sich an keine Vereinbarung. „Das heißt: Sein Wort zählt nicht.“
Allerdings weist der frühere Top-Diplomat und ehemalige deutsche UN-Botschafter selbst darauf hin, dass eine Umsetzung der Forderung schwierig wird. „China wird dem Ausschluss nicht zustimmen“, sagt Heusgen und verweist auf das Konsens-Prinzip. Und auch der außenpolitische Sprecher der Grünen, Jürgen Trittin, wiegelt ab: „Realpolitisch ist dies ein aussichtsloses Unterfangen“, sagt er Reuters. „Weder Indien noch China, Indonesien oder Brasilien dürften da mitmachen.“ Bidens Vorstoß sei eher für die heimische politische Bühne bestimmt.
Die Bundesregierung ist ohnehin zurückhaltend. Bei den G20 sei ein Ausschluss natürlich schwierig, weil einzelne Mitglieder schon Unterstützung oder Neutralität bekundet hätten, sagte ein Regierungsvertreter. „Insofern ist aufgrund des Konsensprinzips innerhalb der G20 ein Ausschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr unrealistisch.“ Tatsächlich hatten westliche Staaten beim derzeitigen G20-Vorsitz Indonesien schon vorgefühlt – und eine ablehnende Antwort erhalten. Und zumindest Deutschland und Frankreich warnen schon seit langem vor einem „decoupling“ der Welt, also einer Teilung in einen Block unter US-Führung und einen anderen hinter China.
Als Biden in Brüssel forderte, dann solle man wenigstens die Ukraine zum G20-Treffen dazu laden, sorgte dies in Brüssel eher für Stirnrunzeln. Putin hat jedenfalls klar gemacht, dass er nicht einlenken will: Er ließ ankündigen, dass er zum G20-Gipfel im November auf Bali kommen wolle. Ein Kreml-Sprecher äußerte sich am Freitag gelassen, dass ein Vorstoß zum Ausschluss ohnehin scheitern werde.
Aber auch unterhalb der Ebene Putin muss der Westen entscheiden, wie er mit Russland umgehen will. Das gilt als schwierig, da man auch jetzt noch gemeinsame Interessen etwa beim Klimaschutz oder dem Iran-Atomabkommen verfolgt. Zumindest aus dem Europarat ist Russland bereits verbannt worden. Als der russische Außenminister Sergej Lawrow Anfang März vor der UN-Menschenrechtsrat redete, verließen viele Delegationen demonstrativ den Saal. Aber es stehen etwa im G20-Rahmen auch Treffen der Fachminister an – zusammen mit Russland. Und im UN-Sicherheitsrat ist Russland als Vetomacht vertreten. Hier wird nur versucht, Moskau möglichst zu isolieren wie bei einer gescheiterten Ukraine-Resolution Russlands am Mittwoch.
Was tun mit Putin? – Das Dilemma mit einem G20-Rauswurf Russlands
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.