UPDATE Berlin, 02. Mrz – Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstagabend zu einem kurzen Arbeitsbesuch nach Washington aufbricht, hat er seine Rede zur „Zeitenwende“ im Gepäck. Bei dem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden am Freitag wird der Kanzler einen Nachweis gebrauchen können, dass er den Kurswechsel in der deutschen Politik nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wirklich ernst gemeint hat. Laut Regierungskreisen geht es bei dem Treffen darum, mit dem US-Präsidenten in aller Ruhe und Vertraulichkeit über die Lage und Entwicklung in der Ukraine, aber wohl auch über die Sorgen der Europäer über die Sogwirkung der Klimatechnologie-Subventionen der USA zu sprechen – möglichst unter vier Augen.
Die ungewöhnliche Organisation des Besuchs ohne Pressebegleitung hat prompt neue Spekulationen über transatlantische Differenzen ausgelöst, die etwa CDU-Chef Friedrich Merz sieht. Bidens Sicherheitsberater Jack Sullivan hatte in einem Interview noch einmal deutlich gemacht, dass die USA ihren Abrams-Kampfpanzer nur – und dies auch noch verspätet – an die Ukraine liefern werden, weil Scholz darauf bestanden habe. Der Kanzler betonte im Bundestag dagegen, dass die Beziehungen „enger und vertrauensvoller denn je“ seien.
„Die Organisation der Reise ist aber kein Krisenzeichen“, sagt auch Sudha David-Wilp, Leiterin des Berlin-Büros des German Marshall Fund (GMF), zu Reuters. Scholz und Biden wollten die Gelegenheit nutzen, die persönlichen Beziehungen zu vertiefen. Washington schaue immer noch auf Berlin als die wesentliche Kraft zur militärischen Abstimmung in Europa. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hatten die USA mit ihrer historisch stärksten Präsenz auf dieser zur Tradition gewordenen Veranstaltung ein transatlantisches Zeichen gesetzt. Ein Drittel des US-Senats war in München und lobte Deutschland wegen der Zusage der Lieferungen von Leopard-Kampfpanzers an die Ukraine.
VERÄRGERUNG WEGEN KOMMUNIKATIONSPANNEN
„Aber Verärgerung hat es in Washington schon gegeben, weil der Eindruck entstanden war, die USA hätten die Panzerlieferungen verzögert“, meint dagegen der US-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Marco Overhaus. Kurzfristig müssten Präsident und Kanzler nun bei der Ukraine klären, wie es weitergehen solle und wie man Kommunikationspannen wie bei den Panzern künftig vermeiden könne. „Es dürfte aber auch um mittel- und langfristige Fragen geben, die teilweise sehr heikel sind: etwa den Wiederaufbau der Ukraine, die Verfolgung von Kriegsverbrechen, aber auch die Frage, wie ein politischer Prozess zur Beendigung des Krieges aussehen könnte“, meint Overhaus. Deshalb hat er Verständnis für die gewünschte Vertraulichkeit. Zudem erwartet der SWP-Experte, dass die Umsetzung der „Zeitenwende“ in Deutschland Thema für die US-Seite sein wird. „Da gibt es eine Menge Erklärungsbedarf.“
Dazu könnten Scholz und Biden den weiteren Umgang mit China absprechen. Die US-Regierung warnt seit Tagen, dass China Russland Waffen liefern könnte. „Deshalb steht schon die Frage im Raum, welche Bereitschaft es in Deutschland und Europa gibt, für einen solchen Fall Sanktionen gegen China zu verhängen“, meint Overhaus. Die Regierung in Berlin ist zurückhaltender, weil sie bisher keine Belege sieht, dass China diese rote Linie von Waffenlieferungen wirklich überschritten hätte. Aber Scholz warnte Peking im Bundestag ausdrücklich, keine Waffen zu senden.
Nach dem Wunsch der deutschen Wirtschaft soll Scholz bei seiner kurzen Washington-Visite von nicht einmal 24 Stunden auch das Thema US-Subventionen ansprechen. „Die deutsche Wirtschaft blickt hoffnungsvoll auf den US-Besuch des Bundeskanzlers“, sagt der Chef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian. „Beide Seiten sollten unbedingt sicherstellen, dass es nicht zu einem Handelskonflikt kommt. Ein Subventionswettlauf würde zulasten der Steuerzahler und des Wettbewerbs insgesamt gehen“, warnt auch BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Die Wirtschaft fordert, dass es keine Diskriminierung durch den sogenannten Inflation Reduction Acts (IRA) gibt. Das hatte Biden zwar versprochen – aber die Umsetzung der Regeln auf amerikanischer Seite birgt Tücken. Und so sehr die Bundesregierung begrüßt, dass die Amerikaner nun den Kampf gegen den Klimawandel verstärken: „Es gibt viele Menschen in Berlin, die wirklich besorgt sind“, meint GMF-Direktorin David-Wilp.
Vorschau: Unter vier Augen – Scholz sucht enge Abstimmung mit Biden
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Gerald Friedrich auf Pixabay
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