Berlin, 10. Okt – Nach der niedersächsischen Landtagswahl und der Wahlschlappe der FDP wächst in Berlin die Sorge um die Stabilität der Ampel-Bundesregierung. Mehrere führende Politiker von SPD und Grünen riefen dazu auf, Ruhe in der Koalition zu wahren. SPD-Chef Lars Klingbeil forderte ein Ende des öffentlichen Streits in dem Bündnis zwischen SPD, Grünen und FDP. Ähnlich äußerten sich andere SPD-Politiker. FDP-Chef Christian Lindner sagte dagegen, dass die Ampel-Koalition angesichts der Ergebnisse in Niedersachsen „an Legitimation verloren“ habe. Die Gewinne der Grünen wögen die Verluste von FDP und SPD nicht auf.
Auslöser der Debatte ist, dass die Liberalen am Sonntag in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte den Koalitionspartnern in Berlin noch am Abend schwere Vorwürfe gemacht. Und in der Ampel-Koalition stehen schwierige Debatten über die Finanzierung von Maßnahmen zur Dämpfung der Energiepreise an. Die Bundesländer wollen weitere Bundeshilfen etwa für den Öffentlichen Nahverkehr und die Flüchtlingsbetreuung. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte den Bund zudem auf, die geplante Wohngeldreform zu finanzieren.
Die FDP hatte zudem in den vergangenen Tagen gefordert, dass die Atomkraftwerke noch bis 2024 laufen sollten, was SPD und Grüne ablehnen. Laut infratest dimap wirft ein Teil der FDP-Anhänger der Partei vor, als Teil der Ampel-Koalition zu viele neue Schulden akzeptiert zu haben. „Das wird in der Bundesregierung mit der FDP schwieriger“, sagte Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU).
„Ich glaube nicht, dass das Regieren schwieriger wird im Bund“, betonte dagegen SPD-Chef Klingbeil auf die Frage nach den Konsequenzen der Niedersachsen-Wahl. Den Streit über die Schuldenbremse und die Atomenergie halte er nun für erledigt. „Laufzeitverlängerung ist keine Option“, sagte auch Grünen-Co-Parteichef Omid Nouripour. In der Ampel-Koalition sei eine Einsatzreserve für die beiden AKW Isar II und Neckarwestheim bis ins Frühjahr 2023 zur Stabilisierung des Stromnetzes vereinbart. „Das ist das, was wir hoffentlich sehr bald miteinander auf den Weg bringen werden“, sagte Nouripour.
FDP-Chef und Finanzminister Lindner wiederum sagte, die Ampel-Koalition müsse die Balance von sozialem Ausgleich, ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft neu ausloten. Die FDP werde sich hierzu entlang der konkreten Sachfragen positionieren.
SPD SIEGT BEI NIEDERSACHSEN-WAHL UND WILL ROT-GRÜN
Die SPD hatte die Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag nach dem vorläufigen Endergebnis gewonnen. Die Sozialdemokraten kamen demnach auf 33,4 (2017: 36,9) Prozent der Stimmen. Ihr bisheriger Koalitionspartner CDU verzeichnete große Verluste und erreichte 28,1 Prozent (2017: 33,6). Die FDP verpasste mit 4,7 Prozent den Einzug ins Parlament. Die Grünen gewannen deutlich hinzu und kamen auf 14,5 Prozent (2017: 8,7). Auch die rechtsgerichtete AfD legte deutlich zu und konnte mit 10,9 Prozent (2017: 6,2) ihr bisher bestes Ergebnis in Niedersachsen erzielen. Die Linken scheiterten dagegen mit 2,7 Prozent abermals an der Fünf-Prozent-Hürde (2017: 4,6 Prozent).
Politiker von SPD und CDU gaben sich gegenseitig die Schuld für das starke Abschneiden der Rechtspartei AfD. Diese konnte laut Analysen der Wahlforscher auch Wähler sowohl aus CDU, FDP und SPD für sich gewinnen. AfD-Co-Chef Tino Chrupalla sprach in Berlin von einem sensationellen Ergebnis seiner Partei in Niedersachsen. Die AfD habe nicht nur aus dem Protestlager Stimmen eingesammelt, sagte er mit Blick auf die Wählerwanderungen von SPD, CDU und FDP zur AfD.
Bei der SPD wirkte als Zugpferd nach Angaben von infratest dimap vor allem der Amtsbonus für Ministerpräsident Weil. Die Sozialdemokraten konnten zudem vor allem bei älteren Frauen zulegen, während die Grünen ihren Stimmenanteil bei jüngeren Wählerinnen und Wählern deutlich verbesserten. Weil sprach sich für eine Koalition mit den Grünen aus. „Ich gehe von einer rot-grünen Landesregierung aus“, sagte er am Montag in Berlin.
Oppositionsführer und CDU-Chef Merz sprach von einer Regionalwahl. Er verwies darauf, dass die Union auf Bundesebene immer noch deutlich vor der SPD und den Grünen lägen. Weil habe in Niedersachsen mit seiner Kritik am Kurs der Ampel-Regierung gepunktet. Mehrere SPD- und Grünen-Politiker warfen Merz vor, er habe mit seiner Bemerkung zum „Sozialtourismus“ ukrainischer Kriegsflüchtlinge gezielt um AfD-Wähler geworben. Der CDU-Chef hatte sich für die Bemerkung entschuldigt. Sie habe im Wahlkampf „kaum oder gar keine“ Rolle gespielt, sagte er am Montag.
Merz kündigte zudem einen Wechsel in der Führungsspitze im Konrad-Adenauer-Haus an. Neuer Bundesgeschäftsführer wird Christoph Hoppe, wie am Montag aus Parteikreisen zu vernehmen war. Er soll ab dem 15. Oktober 2022 Stefan Hennewig in dieser Funktion ablösen, der seit 2019 CDU-Bundesgeschäftsführer war.
SPD beschwört Einheit – Lindner eine Neujustierung der Ampel
Quelle: Reuters
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