Lwiw, 09. Mrz (Reuters) – Michael Ferkol ist gerade für sein Archäologie-Studium in Rom, als er den Aufruf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Unterstützung durch ausländische Kämpfer gegen die russischen Invasoren mitbekommt. Wenige Tage später meldet sich der Amerikaner, der einst als Versorgungsspezialist bei Ingenieur-Einheiten in der US-Armee diente, beim militärischen Rekrutierungsbüro in der westukrainischen Stadt Lwiw zum Einsatz als Sanitäter an der Front. „Ich sagte ihnen, ich wolle mich um Patienten kümmern“, so der 29-Jährige, der keine Kampferfahrung hat. „Es war auch ein Finne dabei, der sagte: ‚Ich will nur Russen töten.'“
Die Ukraine hat eine Legion mit ausländischen Freiwilligen aufgestellt. Sie sollen nach den Worten von Präsident Selenskyj „Seite an Seite mit den Ukrainern gegen die russischen Kriegsverbrecher kämpfen“. Allein bis vergangene Woche meldeten sich demnach mehr als 16.000 Ausländer. Die Nachrichtenagentur Reuters befragte rund 20 ausländische Kämpfer. Manche sehen den Kampf eines demokratischen Landes gegen den aggressiven Nachbar als Motivation an. Für andere bietet der Krieg in der Ukraine eine Chance, ihre Kampffähigkeiten einzusetzen, die ihre eigenen Regierungen nicht mehr zu schätzen wissen.
REKRUTEN ALS KUGELFÄNGER?
Neben kampferprobten Kriegsveteranen kommen auch Menschen mit wenig oder gar keiner Erfahrung in Krisengebieten. Ein Mann, der sich als britischer Militärveteran zu erkennen gibt, bezeichnet diese Rekruten als „Kugelfänger“. Das System zur Aufnahme, Ausbildung und Entsendung ausländischer Kämpfer stecke noch in den Kinderschuhen, gibt Roman Schepeljak zu. Der ukrainische Regierungsvertreter ist in der im Westen des Landes gelegenen Stadt Lwiw dafür zuständig, die Bewerber zu prüfen.
Unter denjenigen, die für die Ukraine kämpfen wollen, befinden sich Dutzende ehemaliger Soldaten des Fallschirmjäger-Eliteregiments der britischen Armee. Hunderte weitere würden bald folgen, sagt ein ehemaliger Soldat der Einheit. Das oft als „Paras“ bezeichnete Regiment hat in Afghanistan und im Irak gedient. „Sie sind alle sehr, sehr gut ausgebildet und haben zahlreiche Einsätze hinter sich“, sagt der Ex-Soldat. Die Ukraine-Krise gebe ihnen „eine Chance, das zu tun, was sie gut können: kämpfen“.
Michael Ferkol stammt aus Chicago, wo viele Menschen ukrainischer Abstammung leben. Er wolle in die Hauptstadt Kiew, um zu helfen. „Um ehrlich zu sein, bin ich ein wenig nervös“, sagt er, als er sich am Wochenende am Bahnhof von Lwiw einen Weg durch die Flüchtlingsströme bahnt – in der Hoffnung, einen Zug an die Front zu erwischen. „Aber gleichzeitig geht es nicht um mich. Es geht um die Menschen, die leiden.“
„HAVE GUN WILL TRAVEL“
Für einige ist die Reise in die Ukraine der einfachste Teil, auch wenn sie aus weit entfernten Ländern gekommen sind. Für diejenigen, die weder Schutzwesten noch Helme oder andere Ausrüstungsgegenstände mitgebracht haben, ist es schwer, diese in der Ukraine zu beschaffen. Das bestätigen mehrere Kämpfer, mit denen Reuters gesprochen hat. Einige Veteranen tauschten daher Informationen über Ausrüstung und Logistik via Facebook- oder WhatsApp-Gruppen aus. Diese sind nur geladenen Gäste zugänglich und tragen Namen wie „Have Gun Will Travel“. Diese Gruppen enthalten Aufrufe zur Beschaffung von Ausrüstung wie Schutzwesten und Nachtsichtgeräten. In anderen Gruppen wiederum bieten sich erfahrene Soldaten an, ihre ukrainischen Kollegen im Umgang mit hochentwickelten Waffen auszubilden, die westliche Länder geschickt haben.
Auch viele ukrainische Männer haben sich freiwillig zum Fronteinsatz gemeldet. Sie sind hochmotiviert, ihr Land gegen die Eindringlinge zu verteidigen. Doch es mangelt an Fachleuten, die mit den modernen Panzerabwehrraketen Javelin und NLAW umgehen können. Für deren richtige Handhabung trainieren Berufssoldaten monatelang. Selbst diejenigen, die über Kampferfahrung verfügen, könnten in den Kriegsgebieten Probleme bekommen, warnt ein ehemaliger britischer Soldat mit dem Spitznamen „Kruger“ und Afghanistan-Erfahrung. „Wenn Sie als Kriegstourist hierher kommen, ist dies nicht der richtige Ort für Sie“, warnt er. „Die Realität des Krieges wird Sie ziemlich überwältigen.“
Viele der in Lwiw ankommenden Ausländer landen erst einmal in einem Büro der Regionalverwaltung, wo ihre Papiere von Schepeljak geprüft werden. Er leitet die Abteilung für internationale technische Hilfe und Zusammenarbeit in der Region. Am Freitag, als Reuters-Journalisten vorbeischauten, erschienen sechs Ausländer in Schepeljak Büro – darunter ein polnischer Veteran namens Michal und ein hünenhafter, stark tätowierter Niederländer namens Bert. Jeden Tag kämen mehr Ausländer an, sagt Schepeljak. „Wenn sie den Wunsch und die Überzeugung haben, einem fremden Land zu dienen, ist das wichtig. Sie sind wichtig.“
UNERWARTET STARKE NACHFRAGE
Schepeljak kann zwar die Papiere prüfen, nicht aber die Kampferfahrung. Dazu werden die Bewerber zu einem Militärstützpunkt außerhalb von Lwiw geschickt. Wer für die ukrainische Armee rekrutiert wird, bekomme den gleichen Sold bezahlt wie die Einheimischen, betont Schepeljak. Manch ausländischem Kämpfer ist das formelle Verfahren zu umständlich, weshalb sie direkt an die Ostfront gingen, wie mehrere von ihnen Reuters sagten. Sie hoffen darauf, bei ihrer Ankunft Waffen und Befehle vom ukrainischen Militär zu erhalten.
Anthony Capone hilft der Ukraine auf indirekte Weise. Der wohlhabende Unternehmer aus der Gesundheitsbranche in New York finanziert nach eigenen Angaben Hunderte von ehemaligen Soldaten und Sanitätern, die in die Ukraine gehen wollen. Bislang sei allerdings nur eine „kleine Anzahl“ im benachbarten Polen angekommen. Capone hatte sein Finanzierungsangebot auf dem Portal LinkedIn gepostet und damit gerechnet, dass zehn oder 15 Personen darauf antworten würden.
„Im Moment bin ich bei etwa 1000“, sagt er. Capone betont, dass er die Ex-Soldaten nur finanziere. Deren militärische oder medizinische Qualifikationen könne er nicht überprüfen. Etwa 60 Prozent der potenziellen Helfer sind demnach Amerikaner, 30 Prozent Europäer. Der Rest stammt aus mindestens 25 Ländern, von Kolumbien über Japan bis Jamaika. Die meisten von ihnen sind Ex-Soldaten, der Rest Notfallsanitäter oder Krankenschwestern für die Intensivpflege. Sie sind bereit, „ein Land zu verteidigen, das sie noch nie besucht haben“, sagt Capone.
Im Zentrum von Lwiw lädt Sig, ein stämmiger, russischsprachiger Kanadier, Säcke mit Ausrüstung auf den Rücksitz eines Kleinbusses. Den hat er in Polen gekauft und in die ukrainische Stadt gefahren. Er trägt eine kugelsichere Weste, die mit medizinischem Werkzeug vollgestopft ist.
Normalerweise arbeite er als ziviler Sanitäter, sagt Sig. Zu seinem vierköpfigen Team gehört ein Amerikaner, der in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien geboren wurde und dessen Familie „seit Generationen“ gegen die Russen gekämpft habe. In Sigs Taschen befinden sich Hunderte von Kilogramm an Ausrüstung, darunter medizinisches Material und Lebensmittelrationen. Damit soll es an die Front gehen. „Ich habe einen Kontakt in Kiew, der uns helfen wird“, sagt er.
Vor der Schalterhalle des Bahnhofs von Lwiw steht am Sonntag eine Gruppe britischer Männer in Militäruniform und wartet auf einen Zug nach Kiew. Sie geben sich gut gelaunt. Angeführt wird die Gruppe von Ben Grant, einem stämmigen Engländer aus Essex, der nach eigenen Angaben bei den britischen Royal Marines gedient und gerade einen Einsatz als Sicherheitsberater im Irak hinter sich gebracht hat. Über die ukrainischen Soldaten sagte Grant: „Sie scheinen stark zu sein – wirklich stark. Ich bin mehr als glücklich, an ihrer Seite zu kämpfen.“
Söldner in der Ukraine – „Glücklich, an ihrer Seite zu kämpfen“
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