Kiew/Moskau, 02. Mrz (Reuters) – Trotz zunehmender internationaler Isolierung treibt Russland die militärische Offensive in der Ukraine voran. Am sechsten Tag der Invasion konzentrierten sich die Kämpfe auf die südukrainische Stadt Cherson und nach wie vor auf die zweitgrößte Stadt des Landes Charkiw im Nordosten. Auch die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer lag unter Beschuss russischer Truppen.
Aus Kiew wurden vereinzelte Angriffe gemeldet, in der Hauptstadt blieb die Lage angespannt. Der erwartete Großangriff der russischen Streitkräfte, die sich vor den Toren Kiews zusammengezogen haben, blieb zunächst aber weiter aus.
Die Nachrichtenagentur RIA berichtete unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau, die russischen Streitkräfte hätten Cherson mit rund 250.000 Einwohnern eingenommen. Die Stadt liegt nordwestlich der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Die örtlichen Behörden meldeten dagegen, Cherson sei von russischen Truppen vollständig umzingelt.
In Charkiw im Nordosten wurden nach Angaben der Regionalverwaltung bei Bombenangriffen in den vergangenen 24 Stunden mindestens 21 Menschen getötet und 112 verletzt. Die Stadt war bereits am Dienstag Ziel mehrerer Raketenangriffe.
Auch Mariupol am Asowschen Meer lag nach Angaben des Bürgermeisters unter intensivem Beschuss. In der Stadt unweit der russischen Grenze spitzte sich die Lage seit Dienstagabend weiter zu. Nach Angaben des Bürgermeisters war es unmöglich, Verletzte aus der Stadt herauszubringen. Mariopul gilt als strategisch wichtiger Ort für Russland, das offenbar versucht, zwischen dem Kernland eine Landschneise zur Krim zu schlagen. RIA hatte am Dienstag unter Berufung auf das Moskauer Verteidigungsministerium berichtet, die ukrainischen Streitkräfte hätten keinen Zugang mehr zur Küste des Asowschen Meeres.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, fast 6000 russische Soldaten seien in den sechs Tagen des Krieges getötet worden. Russland könne die Ukraine nicht mit Bomben, Angriffen und Raketen gewinnen. Russland hat sich bislang nicht konkret zu den erlittenen Verlusten in dem Krieg geäußert. Selenskyj rief zudem dazu auf, die Bewerbung seines Landes für einen Beitritt zu Europäischen Union zu unterstützen. Es sei nicht die Zeit, neutral zu sein.
Nach dem russischen Angriff auf den Fernsehturm in Kiew, bei dem auch die Gedenkstätte Babyn Jar beschädigt wurde, warf Selenskyj den russischen Truppen vor, sie wollten sein Land und dessen Geschichte auslöschen. In Babyn Jar verübten im Zweiten Weltkrieg deutsche Besatzungstruppen und deren ukrainische Helfer ein Massaker an der jüdischen Bevölkerung. „Dieser Angriff zeigt, dass für viele Menschen in Russland unser Kiew absolut fremd ist“, sagte Selenskyj in einer Video-Botschaft. „Sie wissen gar nichts über Kiew, über unsere Geschichte. Aber sie alle haben den Befehl, unsere Geschichte, unser Land, uns alle auszulöschen.“
Hunderttausende Ukrainer sind mittlerweile vor den Kämpfen geflohen. Mehr als 450.000 Menschen sind seit Beginn der Invasion nach Polen gekommen, wie der stellvertretende Innenminister Pawel Szefernaker im Rundfunk sagte. Am Montag überquerten demnach mit mehr als 100.000 und damit bislang die meisten Menschen an einem einzigen Tag die Grenze. Am Dienstag seien es 98.000 gewesen. Mehr als 113.000 Ukrainer sind seit Beginn der Invasion nach Rumänien geflohen. Das geht aus Daten der Grenzpolizei hervor. Mehr als die Hälfte von ihnen haben sich demnach bereits weiter auf den Weg gemacht nach Bulgarien und Ungarn.
„UNMISSVERSTÄNDLICHES SIGNAL AN DIE UKRAINE“
Der Krieg in der Ukraine war auch zentraler Gegenstand von US-Präsident Joe Bidens erster Rede zur Lage der Nation. Darin attackierte Biden den russischen Staatschef Wladimir Putin scharf und stellte sich demonstrativ an die Seite der Ukraine. Gleich in den ersten Minuten seiner Rede im US-Kongress rief er die Parlamentarier dazu auf, sich zu erheben, und „ein unmissverständliches Signal an die Ukraine und die Welt zu senden“.
Putin setzte er mit einem Diktator gleich und drohte ihm mit Konsequenzen. „Er hat keine Ahnung, was auf ihn zukommt.“ Selbst wenn Russland auf dem Schlachtfeld vorankommen sollte, werde Putin langfristig einen hohen Preis bezahlen. In seltener Einigkeit begleiteten Demokraten und oppositionelle Republikaner Bidens Rede mit stehendem Applaus.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach unterdessen in einer Dringlichkeitssitzung der UN-Generalversammlung in New York von einer neuen Wirklichkeit, die der Konflikt markiere. Jeder müsse nun eine Seite wählen, erklärte sie in einer auf Englisch gehaltenen Rede.
Zwar bekenne sich Deutschland zur Diplomatie und Suche nach friedlichen Lösungen. „Aber wenn unsere friedliche Ordnung angegriffen wird, müssen wir uns dieser neuen Realität stellen“, sagte sie mit Blick auf einen Entwurf für einen Entschließungsantrag, in dem Russlands Vorgehen verurteilt wird. Darüber sollten die UN-Staaten im Lauf des Tages abstimmen.
Überschattet von der russischen Invasion in der Ukraine absolviert Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch seinen Antrittsbesuch in Israel. Zunächst wollte der Kanzler die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchen. Anschließend war ein Gespräch mit Ministerpräsident Naftali Bennett vorgesehen.
Scholz soll auch mit dem alternierenden Premierminister, dem jetzigen Außenminister von Israel, Yair Lapid, sowie dem Knesset-Präsidenten Mickey Levy zusammenzutreffen. Thema dürfte neben den bilateralen Beziehungen und dem Nahostfriedensprozess vor allem die russische Invasion in der Ukraine sein. Israel hat enge Beziehungen sowohl zur Ukraine als auch zu Russland und sich bisher den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen, aber eine Vermittlerrolle angeboten.
Russland setzt Ukraine-Offensive fort – Großstädte unter Beschuss
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.