Berlin, 29. Nov – Die Inflation in Deutschland hat im November überraschend nachgelassen. Die Verbraucherpreise stiegen um durchschnittlich 10,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einer unveränderten Teuerungsrate von 10,4 Prozent gerechnet. In ersten Reaktionen hieß es dazu:
JÖRG ZEUNER, CHEFVOLKSWIRT UNION INVESTMENT:
„Entspannung kommt von den Energiepreisen, die ihren markanten Aufwärtstrend vor einem Jahr begonnen haben. Die Dynamik lässt hier zwar langsam nach, was die Teuerung dämpft. Allerdings zeigen die Lebensmittelpreise weiter nach oben. Diese werden getrieben von den nach wie vor anhaltenden Lieferkettenproblemen als auch den hohen Preisen für Düngemittel. Dazu kommt, dass die Unternehmen ihre gestiegenen Kosten nur mit Verzögerung an die Verbraucher weitergeben. Daher bleibt die Kerninflation, also die Inflationsrate ohne schwankungsanfällige Energie- und Nahrungsmittelpreise, hartnäckig hoch. Wir erwarten für Dezember den Höhepunkt der Inflation. Im kommenden Jahr dürften eine abnehmende Nachfrage, geringere Störungen aus Lieferketten sowie weniger Aufwärtsdruck bei den Energiepreisen die Inflationsentwicklung bremsen. Allerdings wird es dauern, bis die preistreibenden Faktoren zurückgehen oder sogar verschwinden.“
FRITZI KÖHLER-GEIB, CHEFVOLKSWIRTIN KFW:
„Trotz des leichten Rückgangs der Inflation ist es für eine Entwarnung deutlich zu früh. Die Erzeugerpreisinflation ist zwar auch im Oktober sogar deutlich zurückgegangen, verharrt aber auf sehr hohen 35 Prozent. Das spricht dafür, dass sich dies noch für einige Monate auch in sehr hohen Verbraucherpreisinflationsraten widerspiegeln könnte und wir es mit einem Plateau hoher Inflationsraten zu tun haben. Mit einer Entspannung rechne ich erst mit Ende der Heizperiode und wenn die Entlastungsmaßnahmen der Regierung ihre Wirkung zeigen. In Deutschland dürfte auch 2023 die Inflation deutlich erhöht bleiben, selbst wenn sie im Laufe des Jahres einen Abwärtstrend aufweist.“
ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT HAUCK AUFHÄUSER LAMPE PRIVATBANK:
„Rückläufige Energiepreise haben geholfen, dass die Inflationsrate etwas gesunken ist. Das könnte der Startschuss für einen weiter abnehmenden Inflationsdruck sein. Zum Jahreswechsel wird die Inflationsrate wohl schon einstellig werden. Gegen eine schnelle Inflationsaufklarung spricht die Kerninflation, zumal Lohnüberwälzungen noch kommen. Vorsichtige Entspannungssignale gehen vom heutigen Ergebnis aber allemal aus.“
THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:
„Für die EZB bringen die Daten keine nennenswerte Entspannung. Der Preisauftrieb lässt etwas nach, doch eine zweistellige Teuerungsrate in der größten Volkswirtschaft der Eurozone kann und darf nicht beruhigen. Möglicherweise dürften aber die Tauben im EZB-Rat Rückenwind für einen etwas kleineren Zinsschritt bekommen. Eine Zinsanhebung von ‚lediglich‘ 50 Basispunkten im Dezember könnte salonfähig werden.“
FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW:
„Die Beruhigung der Energiepreise auf sehr hohem Niveau bremst die Inflation jetzt etwas ab. Für eine Entwarnung besteht dennoch nicht der geringste Anlass. Die Rückkehr zur Preisstabilität gemäß dem Zwei-Prozent-Inflationsziel der Europäischen Zentralbank ist weit und breit nicht in Sicht. Die Inflationsdynamik hat neben der Energie längst fast alle anderen Güter und Dienstleistungen im Warenkorb erfasst. Auch wenn die aktuellen Lohnabschlüsse keinen vollen Ausgleich für die sehr hohe Inflation bieten, werden sie den Kostendruck der Unternehmen hoch halten und eine Rückkehr der Inflation in Richtung Zwei-Prozent-Marke im nächsten Jahr nicht erlauben.“
JÖRG KRÄMER, CHEFVOLKSWIRT COMMERZBANK:
„Die Inflation ist im November nur gesunken, weil die Preise für Kraftstoffe und Heizöl gefallen sind. Für Entwarnung ist es auch deshalb zu früh, weil viele Versorger für Januar deutlich höhere Strom- und Gaspreise angekündigt haben. Erst ab dem Frühjahr dürfte die Inflationsrate deutlich sinken, aber nur weil dann die Gas- und Strompreisbremsen greifen und der Inflationsbeitrag des Öls nachlässt. Die unterliegende Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel dürfte 2023 jedoch hartnäckig hoch bleiben.“
HOLGER SCHMIEDING, CHEFVOLKSWIRT BERENBERG BANK:
„Ein Silberstreif am Horizont. Mit Glück haben wir den Inflationsgipfel hinter uns. Aber der Rückgang im November geht ausschließlich auf geringere Ölpreise zurück. Ohne Heizöl und Kraftstoffe hat der Inflationsdruck etwa in NRW jedoch noch leicht zugenommen.
Für Dezember erwarte ich ein ähnliches Bild wie für November. Ab Januar müssen viele Verbraucher mehr für Strom bezahlen. Das könnte die Inflationsrate noch einmal etwas in die Höhe treiben. Danach dürfte der Druck aber erheblich abnehmen. In der Winterrezession haben Unternehmen kaum noch eine Chance, höhere Kosten auf ihre Kunden zu überwälzen. Ab März kommen dann kräftige Basiseffekte dazu. Putin hat seine brutale Invasion im Februar gestartet. Ab März vergleichen wir dann nicht mehr die aktuellen Preise für Energie- und Nahrungsmittel mit den geringeren Vorkriegspreisen, sondern mit den hohen Preisen seit Kriegsbeginn. Im Frühjahr 2024 könnte die Inflation dann sogar auf etwa zwei Prozent fallen.“
CARSTEN BRZESKI, CHEFVOLKSWIRT ING:
„Wir nähern uns dem Gipfel, aber für einen Sturm der Begeisterung ist es noch zu früh. Der Rückgang bei der Inflation kommt aktuell noch zum größten Teil von nicht mehr weiter steigenden Energiepreisen. Da aber vor allem die Gas- und Elektrizitätspreise in den kommenden Monaten bei den Verbrauchern noch steigen werden und es auch – wie bei den Erzeugerpreisen zu sehen – noch viel Inflationsdruck gibt, schließe ich einen leichten weiteren Anstieg nicht aus. Erst ab dem ersten Quartal 2023 sollten wir den Höhepunkt definitiv erreicht haben.“
Ökonomen zum unerwarteten Rückgang der Inflationsrate
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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