Berlin, 23. Mai (Reuters) – Die Stimmung der deutschen Wirtschaft hat sich im Mai überraschend aufgehellt. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stieg auf 93,0 Punkte von 91,9 Zählern im Vormonat und damit das zweite Mal in Folge, wie das Münchner Ifo-Institut am Montag zu seiner Umfrage unter rund 9000 Top-Managern mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten hingegen einen Rückgang auf 91,4 Punkte erwartet. In ersten Reaktionen hieß es dazu:
FRITZI KÖHLER-GEIB, KFW-CHEFVOLKSWIRTIN:
„Die Stimmung in den deutschen Unternehmen steigt und zeigt sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine deutlich stabiler als zu Beginn der Corona-Krise im Frühling 2020. Leider ist aktuell aber auch eine schnelle Aufholbewegung wie ab dem Frühsommer 2020 außer Sichtweite, denn von dem vor Kriegsausbruch erwarteten Konsumboom bleibt wenig übrig. Wegen des Krieges werden die Energiepreise längerfristig hoch sein und damit die Kaufkraft belasten. Außerdem ist davon auszugehen, dass es durch Chinas strikte Lockdowns selbst bei kleinen Corona-Ausbrüchen immer wieder zu Störungen in den globalen Lieferketten kommen kann. Diese stehen infolge des Krieges sowieso unter zusätzlichem Stress. Für den Rest des Jahres erwarte ich deshalb nur moderat positive Quartalswachstumsraten, auch stagflationäre Tendenzen sind durchaus möglich.“
ANDREAS SCHEUERLE, DEKABANK:
„Die Lage ist gut, die Risiken bleiben. Die deutschen Unternehmen beurteilen die laufenden Geschäfte deutlich besser als im Vormonat. Noch läuft die Konjunktur dank der Nachholeffekte nach dem Ende der Corona-Restriktionen. Dies überlagert aktuell Probleme an anderen Stellen. Doch diese Hilfe ebbt mit der Zeit ab und die Einkommen der Konsumenten erodieren in Folge der Inflation immer weiter. Zudem werden in den kommenden Monaten die ohnehin schon gestressten Lieferketten in Folge der harten Lockdowns in China an mehreren Stellen Risse bekommen. Das ist zunächst ein Problem der nahen Zukunft, doch der ungenügende Impfstoff und die Null-Covid-Strategie Chinas können jederzeit neue Einschränkungen nach sich ziehen. Und über allem schweben die Risiken des Ukrainekriegs. Kein Wunder also, dass die Konjunkturerwartungen anhaltend pessimistisch sind.“
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:
„Die Erholung des Ifo-Geschäftsklimas geht vor allem auf eine bessere aktuelle Geschäftslage im Dienstleistungssektor zurück, der von der Lockerung der Corona-Beschränkungen profitiert. Dagegen ist die Stimmung in der Industrie trotz einer leichten Entspannung weiter gedrückt. Denn die Null-Corona-Politik in China sowie kriegsbedingte Lieferprobleme dürften den Nachschub für die deutsche Industrie aus dem Ausland weiter stocken lassen. Die Konjunkturrisiken bleiben nach unten gerichtet. Für das zweite Quartal erwarten wir eine Stagnation des Bruttoinlandsprodukts.“
ALEXANDER KRÜGER, HAUCK AUFHÄUSER LAMPE PRIVATBANK.
„Indexanstieg hin oder her: Die Laune von Unternehmen bleibt schlecht. Mehr als Pessimismus lässt die globale Gemengelage auch nicht zu. Der massive Materialmangel wird die Produktion noch lange an die Kette legen. Die Probleme wären auch dann nicht sofort vom Tisch, wenn der Ukraine-Krieg plötzlich enden würde. Denn die Neujustierung von Lieferketten wird dauern, pandemiebedingt auch wegen China. Auch für den Post-Corona-Konsumboom sieht es wegen des starken Inflationsanstieg und Angebotsengpässen schlecht aus. Das Fragezeichen hinter einer sich im zweiten Halbjahr 2022 stärker belebenden Wirtschaft wird größer.“
Ökonomen zum unerwarteten Anstieg des Ifo-Index
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