Berlin, 24. Nov – Die Stimmung in den Chefetagen deutscher Firmen hat sich im November überraschend deutlich aufgehellt. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stieg auf 86,3 Zähler von revidiert 84,5 Punkten im Vormonat. Von Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit 85,0 Punkten gerechnet. Mit den laufenden Geschäften waren die Unternehmen zwar weniger zufrieden, aber der Pessimismus mit Blick auf die kommenden Monate ließ merklich nach. „Die Rezession dürfte weniger tief ausfallen als viele erwartet haben“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Analysten sagten in ersten Reaktionen:
ULRICH KATER, CHEFVOLKSWIRT DEKABANK:
„Die Rezession verliert ihren Schrecken. Die Unsicherheit über die Energieversorgung und damit die Produktionsbedingungen in den kommenden Monaten nimmt langsam ab, die Erwartungen der Unternehmen drücken wieder mehr Zuversicht aus. Die Rezession mag mild bleiben, die langfristigen Herausforderungen für die deutschen Unternehmen sind es nicht.“
FRITZI KÖHLER-GEIB, KFW-CHEFÖKONOMIN:
„Der deutliche Anstieg der Ifo-Geschäftserwartungen ist gerechtfertigt, denn die Unternehmen waren zuletzt so uferlos pessimistisch wie bisher nur vor den größten Rezessionen. Einbrüche wie in der Finanz- oder Coronakrise sind jedoch nur bei einer Gasmangellage wahrscheinlich und an der dürften wir dank voller Speicher und vor allem erheblicher Sparanstrengungen von Unternehmen und Haushalten vorbeikommen. Außerdem wird der Konsumeinbruch wohl durch die Entlastungspakete der Bundesregierung und die finanziellen Reserven der Haushalte gedämpft. Doch auch wenn die allergrößten Übertreibungen nun korrigiert wurden, ist die Stimmung immer noch schlecht. Wir befürchten daher, dass die Investitionstätigkeit der Unternehmen deutlich nachlassen wird, was wiederum die Rezession im kommenden Jahr verstärkt.“
RALF UMLAUF, HELABA:
„Die Stimmung unter den deutschen Unternehmen verbessert sich unerwartet kräftig und das ist zusammen mit den Anstiegen anderer Konjunkturindikatoren ein positives Signal. Ob damit die Trendwende geschafft ist, muss sich in den nächsten Monaten zeigen. Zudem gilt es zu beachten, dass die niedrigen Niveaus der Stimmungsbarometer zunächst noch für eine schwache konjunkturelle Dynamik im laufenden Quartal sprechen, auch wenn die aktuelle Lageeinschätzung zulegen konnte. Die EZB steht weiterhin unter Druck, wegen der hohen Geldentwertungsrate die Zinsen merklich zu erhöhen.“
JÖRG KRÄMER, CHEFÖKONOM COMMERZBANK:
„Der deutliche Anstieg der Ifo-Geschäftserwartungen für die kommenden sechs Monate zeigt, dass die Unternehmen eine gewisse Verbesserung der konjunkturellen Rahmenbedingungen erkennen. So ist das Risiko einer Gasrationierung in den zurückliegenden Wochen deutlich gesunken, und die Bundesregierung hat ihr Entlastungspaket massiv aufgestockt. Außerdem hat der Schmerz bei den Materialengpässen nachgelassen. Ich erwarte weiter eine Rezession, mehr denn je aber keinen wirtschaftlichen Kollaps.“
JENS-OLIVER NIKLASCH, LBBW:
„Wir rücken vor aus der Zone der Untergangsangst in den Bereich normaler Rezessionssorgen. Die Erwartungen waren katastrophal, jetzt sind sie nur noch düster. Dazu haben vermutlich der erfolgreiche Aufbau der Gasspeicher und die fiskalpolitischen Maßnahmen beigetragen. Außerdem scheinen die Lieferketten wieder etwas stabiler. Aber machen wir uns nichts vor: Das sind die Indikatorwerte einer Rezession. Für Erleichterung besteht daher ungeachtet des deutlichen Anstiegs wenig Anlass.“
ANDREAS SCHEUERLE, DEKABANK:
„Die deutliche Korrektur der Geschäftserwartungen war überfällig und folgerichtig. Drei Gründe sprachen hierfür: Erstens wurden von der Bundesregierung deutliche Entlastungspakete geschnürt, die helfen, die Konjunktur zu stabilisieren. Zweitens rutscht das Sechs-Monats-Zeitfenster, für das die Geschäftserwartungen abgefragt werden, in den Mai und damit in eine Phase, in der witterungsbedingte Versorgungsengpässe keine Rolle mehr spielen sollten. Drittens waren die Geschäftserwartungen unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs und der von diesem ausgehenden Unsicherheit kollabiert und signalisierten einen Konjunktureinbruch wie in der Hochphase der Corona-Krise. Damit rechnet aktuell niemand mehr. Dass Deutschland in eine Rezession abrutscht, ist unstrittig, aber es wird nicht der befürchtete Absturz werden.“
THOMAS GITZEL, VP BANK CHEFVOLKSWIRT:
„Hurra, der Weltuntergang bleibt aus! Gasmangellage, Blackout, fehlende Materialien und Finanzmarktkrise waren die Schlagworte der vergangenen Wochen. Doch zum allgemeinen Erstaunen verzeichnete die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal ein besser als erwartetes Wachstum. Die aktuelle Lage ist also weit weniger schlimm als die allgemeine Stimmung. Dies reflektiert auch der Ifo-Geschäftsklimaindex. Es klafft ein grosses Loch zwischen der Einschätzung der Unternehmen zur aktuellen Lage und den weiteren Geschäftsaussichten.“
Ökonomen zum unerwartet starken Anstieg des Ifo-Index
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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