Berlin/Paris, 25. Okt – Das Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron am Mittwoch in Fontainebleau wirkt wie ein Trostpreis für die französische Regierung. Denn eigentlich sollten am Mittwoch bilaterale Regierungskonsultationen stattfinden und gefeiert werden – ein Großevent im Verhältnis der beiden wichtigsten EU-Staaten und engsten Verbündeten. Doch das Treffen der Kabinette wurde vergangene Woche kurzfristig abgesagt. Das macht deutlich, dass es im Verhältnis beider Staaten derzeit knirscht. Die Dissonanzen haben nach Reuters-Informationen aus Regierungskreisen in Berlin und Paris mehrere Ursachen.
VERHÄLTNIS PRÄSIDENT UND KANZLER
Dass der extrovertierte Macron und der eher spröde Hanseat Scholz nicht unbedingt harmonieren würden, galt schon beim Amtsantritt des SPD-Politikers als sicher. Das persönliche Verhältnis wird auf französischer Seite eher kritischer beschrieben als auf deutscher Seite. Als Grund gilt auch die Konkurrenz der beiden, wer denn nach dem Abgang von Angela Merkel nun „Nummer eins“ in der EU ist. Gerade in den ersten Monaten hatte Macron dabei mit Alleingängen sein Terrain markieren wollen. Nun zieht der Kanzler der größten EU-Volkswirtschaft nach – unter anderem mit seiner Prager EU-Rede. In Paris gibt es zudem eine gewisse Enttäuschung, dass Scholz sich etwa in der EU-Finanzpolitik nicht offener für eine Vergemeinschaftung von Schulden und Hilfen zeigt.
MANGELNDER RESPEKT FÜR PARIS
„Der Elysee-Palast hat es als ernstes Problem angesehen, dass die Ampel-Regierung den engsten Partner nicht vorab über das 200-Milliarden-Euro-Entlastungspaket informiert hat“, sagte Frankreich-Expertin Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Im Macron-Team ist man sauer, dass Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt einen Tag vor der „Doppel-Wumms“-Entscheidung in Paris war und dort das 200-Milliarden-Paket nicht erwähnt haben soll. So etwas hätte es unter Merkel nie gegeben, heißt es in Paris. Zudem reagierte Macron verschnupft darauf, dass Scholz in seiner Prager Rede weder die deutsch-französischen Sonderbeziehungen noch die deutsch-französischen Rüstungsprojekte erwähnt habe.
Auf deutscher Seite wird auf die schwierigen und zeitraubenden Abstimmungen zwischen den Koalitionspartnern SPD, Grüne und FDP verwiesen. Aber intern gibt es auch Kritik an der Abstimmung durch das Kanzleramt. So fielen die Regierungskonsultationen mitten in die Herbstferien, etliche Kabinettsmitglieder hätten nicht nach Fontainebleau reisen können.
EMPFINDLICHE FRANZOSEN
„Allerdings steckt Macron auch in der Defensive“, erklärt SWP-Expertin Kempin die Empfindlichkeit. Denn in Mali war die frühere Kolonialmacht mit ihrer Politik krachend gescheitert. Und bei dem gemeinsamen Rüstungsprojekt FCAS liegt das Problem mangelnden Fortschritts vor allem im innerfranzösischen Streit zwischen den Flugzeugherstellern Airbus und Dassault. Hier ziert sich Macron vor einem Machtwort. In der Ukraine-Politik wiederum hat Deutschland mit der Wiederaufbau-Konferenz die Führung übernommen – Frankreich zieht nach. Zumal auch die Gespräche von Macron mit Russland Präsident Wladimir Putin keine Fortschritte brachten.
INHALTLICHE DIFFERENZEN…..
Die Dissonanzen sorgten dafür, dass Macron auf dem EU-Gipfel wenig diplomatisch mit dem Blick auf die Debatten über Hilfspakete und Gaspreisdeckel sagte, es sei nicht gut, wenn Deutschland sich „isoliere“. Frankreich möchte gerne mehr EU-Finanzen, um gegen die Energiekrise anzukämpfen. Deutschland will dies nicht. Als Problem wird auch gesehen, dass Scholz in seiner Rede über das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr zwar die Anschaffung amerikanischer F35-Jets ankündigte, aber nicht die gemeinsamen Rüstungsprojekte erwähnte.
….ABER AUCH INHALTLICHE FORTSCHRITTE
Allerdings warnen Beobachter davor, die Differenzen im deutsch-französischen Verhältnis zu überzeichnen – die in der Bundesregierung ohnehin eher heruntergespielt werden. Denn klammheimlich gab es auch deutliche Fortschritte auf etlichen Gebieten: So hat Russlands Angriff auf die Ukraine Macrons Ablehnung eines EU-Beitritts der Westbalkan-Staaten nach Einschätzung aus Regierungskreisen korrigiert. Umgekehrt hat Scholz dafür gesorgt, dass Macrons im Alleingang vorgeschlagene neue Europäische Gemeinschaft mit einem Treffen in Prag ein Erfolg wurde. Erstmals liefert Frankreich im Oktober Gas an den östlichen Nachbarn – während Deutschland den Nachbarn mit Strom versorgt.
Und Macron hat vergangene Woche seinen Widerstand gegen eine spanische Anbindung an das europäische Gasnetz aufgegeben – nur dass die Pipeline nun eben nicht durch die Pyrenäen, sondern vor der Küste nach Marseille führen wird. Scholz revanchierte sich, indem er im Ampel-Streit um Rüstungsexport-Kontrolle klar die französische Position bezog: Der Kanzler und die Verteidigungsministerin machten öffentlich klar, dass es bei gemeinsamen Rüstungsprojekten keine deutsches Vetorecht mehr geben dürfe – eine Ansage an den grünen Koalitionspartner.
„Nur“ ein Treffen Scholz-Macron – Zwischen Paris und Berlin knirscht es
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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