Kiew/Lwiw, 09. Mrz (Reuters) – In der Ukraine ist ein neuer Versuch zur Evakuierung von Zivilisten aus belagerten Städten angelaufen. Russland verkündete am Mittwoch eine neue Feuerpause. Die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk erklärte in einer Videobotschaft, Zivilisten sollten über sechs Fluchtkorridore aus umkämpften Städten gebracht werden.
Die ukrainischen Streitkräfte hätten zugestimmt, den Beschuss in diesen Gebieten von 09.00 Uhr bis 21.00 Uhr Ortszeit (20.00 Uhr MEZ) einzustellen. Einen Tag vor einem Treffen der Außenminister Russlands und der Ukraine betonte die Regierung in Moskau unterdessen, es gehe bei dem Einsatz nicht um den Sturz der ukrainischen Regierung.
Vor den Gesprächen der Außenminister Sergej Lawrow und Dmytro Kuleba in der Türkei am Donnerstag deutete ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an, dass sein Land im Gegenzug für Sicherheitsgarantien auf einen Nato-Beitritt verzichten könnte. In Moskau sagte eine Sprecherin des Außenministeriums, der Einsatz in der Ukraine laufe strikt nach Plan.
Die Regierung wolle ihre Ziele eines neutralen Status der Ukraine durch Gespräche erreichen und hoffe, dass die Verhandlungsrunde Fortschritte erzielen werde. Das Treffen in Antalya ist die erste Begegnung auf Regierungsebene seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar.
Die Invasion ist der größte Angriff auf einen europäischen Staat seit dem Zweiten Weltkrieg. Russland bezeichnet sein Vorgehen in der Ukraine als Sondereinsatz, der nicht darauf abziele, Territorium zu besetzen, sondern die militärischen Kapazitäten des Nachbarn zu zerstören und als gefährlich eingestufte Nationalisten zu fassen.
ROTES KREUZ: LAGE IN MARIUPOL „APOKALYPTISCH“
Die Korridore zur Evakuierung von Zivilisten sollten in den belagerten Städten Kiew, Sumy, Charkiw, Mariupol und Tschernihiw eingerichtet werden. Zunächst konnten allerdings nur aus Sumy Zivilisten durch einen Fluchtkorridor ausreisen. Aus der nordostukrainischen Stadt wurden am Mittwoch weitere Evakuierungen auch mit Privatwagen gemeldet.
Das Rote Kreuz bezeichnete die Lage in der von russischen Truppen vollständig eingeschlossenen und heftig bombardierten Hafenstadt Mariupol als „apokalyptisch“. Dort sollen die Menschen keinen Zugang mehr zu Wasser, Strom, Essen und Heizung haben.
Die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Wereschtschuk forderte die russischen Streitkräfte auf, ihre Verpflichtung zur lokalen Waffenruhe auch in Mariupol einzuhalten. In den vergangenen Tagen waren mehrfach Versuche gescheitert, Zivilisten die Flucht aus belagerten Städten zu ermöglichen. Beide Seiten gaben sich gegenseitig dafür die Schuld. Zugleich forderte die ukrainische Regierung eine Feuerpause im Gebiet von Tschernobyl, um die Stromleitung zum stillgelegten Atomkraftwerk reparieren zu können. Sollte der Stromausfall anhalten, bestehe die Gefahr eines Austritts von radioaktiver Strahlung, schrieb Außenminister Kuleba auf Twitter.
Die russische Invasion in der Ukraine hat nach Angaben der UN innerhalb weniger Tage mehr als zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. „Ich fürchte, das ist erst der Anfang“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch im ZDF. Die EU-Staaten würden noch sehr viel mehr Menschen aufnehmen müssen, seien dazu aber auch bereit. In Deutschland sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums bislang 80.035 ukrainische Flüchtlinge registriert worden. Die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge könne aber höher sein, weil es keine EU-Binnengrenzkontrollen zu Polen gebe, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin.
RUSSLAND KÜNDIGT GEGENSANKTIONEN AN
Bundeskanzler Olaf Scholz erteilte der Möglichkeit eine Absage, der Ukraine von Polen gestellte Kampfflugzeuge vom Typ MIG 29 über die Nato zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung werde weiter über Waffen-Lieferungen nachdenken, „dazu gehören ganz sicherlich keine Kampfflugzeuge“, sagte Scholz nach einem Treffen mit dem kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau. Auch Trudeau betonte, ein Übergreifen des Krieges auf die Nato müsse verhindert werden. Scholz forderte Russlands Präsident Wladimir Putin erneut auf, den Krieg sofort zu beenden. „Die Weltgemeinschaft wird das russische Vorgehen in der Ukraine nicht hinnehmen.“
Russland drohte mit Vergeltung für die Wirtschafts- und Finanzsanktionen der westlichen Welt. Die USA haben nach Darstellung des Präsidialamtes in Moskau Russland den Wirtschaftskrieg erklärt. Die russische Regierung werde nun genau prüfen, welche Schritte sie unternehme, sagt der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow. Die USA hatten als jüngste Sanktion einen Stopp von Ölimporten aus Russland verhängt. Auch die EU beschloss weitere Sanktionen gegen 14 russische Oligarchen sowie gegen die belarussische Zentralbank und drei Privatbanken des Landes.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zeigte sich optimistisch, dass die EU ihre Energieabhängigkeit von Russland schneller reduzieren kann als gedacht. Die EU-Staaten hätten bereits so viel Flüssiggas (LNG) eingekauft, dass man in diesem Winter ohne russisches Gas auskommen könne, sagte sie im ZDF.
Zugleich verteidigte die Kommissionspräsidentin, dass die EU anders als die USA keinen Ölimport-Stopp beschlossen hat und verwies auf die geringere Abhängigkeit der USA bei Öl. Es gehe darum, mit den Sanktionen vor allem Russland und nicht die westlichen Staaten zu treffen. Auch die Bundesregierung hatte am Dienstag mit Blick auf die größere Abhängigkeit von russischem Öl abgelehnt, sich dem US-Schritt anzuschließen.
Neuer Anlauf zur Evakuierung umkämpfter Städte in der Ukraine
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.