Mittwoch, April 24, 2024
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Nach „Partygate“ – Kommunalwahl als Stimmungstest für Johnson

London/Belfast, 05. Mai (Reuters) – In Großbritannien läuft die Kommunalwahl, die nach der „Partygate“-Affäre vor allem als Stimmungstest für Premierminister Boris Johnson gilt. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden am Donnerstag über fast 7000 Sitze in 140 Gemeinden und Bezirken. Beobachter rechnen damit, dass sie Johnson abstrafen. Zum einen wegen ihres Unmuts über die hohen Lebenshaltungskosten, zum anderen wegen der Vorwürfe, dass an Johnsons Amtssitz trotz geltender Corona-Lockdowns Partys gefeiert wurden. Der Premier steht deshalb schon seit Monaten unter Druck und wurde zu einem Bußgeld verdonnert. Die Wahlergebnisse werden am Freitag erwartet.

Johnson selbst ging am Donnerstag mit seinem Hund zur Stimmabgabe in ein Wahlbüro nahe der Londoner Downing Street, in der sein Amtssitz liegt. Auf Äußerungen wartete die Presse dabei vergeblich. In der Hauptstadt müssen seine Torys um die Wahlbezirke Wandsworth und Westminster zittern. Sie gelten zwar als Hochburgen der Konservativen, könnten jetzt aber an die oppositionelle Labour-Partei gehen. Der Blick richtet sich auch auf das rund 270 Kilometer nördlich von London gelegene Newcastle-under-Lyme. 

Die früher für ihre Kohle- und Stahlindustrie bekannte Stadt gehörte zum Labor-Stammland. Doch 2019 konnten die Konservativen hier, wo die Menschen strikt für den Brexit waren, zum ersten Mal seit 100 Jahren einen Parlamentssitz erringen. Vergangenes Jahr übernahmen sie zum ersten Mal überhaupt die Kontrolle des Stadtrats. Bei der jetzigen Abstimmung wird sich zeigen, ob die Tory-Begeisterung auch nach der „Partygate“-Affäre anhält. 

Labour hat im Wahlkampf zudem scharfe Kritik daran geübt, wie Johnson auf die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise reagiert, die den Briten zusetzen. Ein schwaches Wahlergebnis könnte Johnsons Kritikern in den eigenen Reihen Auftrieb geben, die an der Mehrheitsfähigkeit des 57-Jährigen vor der bis Ende 2024 anstehenden Parlamentswahl zweifeln. 

Doch einen Sturz des Premiers hält unter anderem Tony Travers von der London School of Economics für unwahrscheinlich: Die Kommunalwahl sei zwar der wichtigste Stimmungstest für Johnson in einer sehr schwierigen Zeit, sagte der LSE-Gastprofessor und Journalist. Solange die Ergebnisse aber nicht „katastrophal schlecht“ seien, werde Johnson zwar durch das Votum beschädigt, könne aber weitermachen. „Zurzeit kommt ihm zugute, dass es keinen offensichtlichen Nachfolger gibt.“ Auch ein konservativer Abgeordneter, der anonym bleiben wollte, rechnet nicht damit, dass Johnsons Gegner durch die Wahl genug Rückhalt für einen Coup gegen den Premierminister erhalten.

SINN FEIN VOR NORDIRLAND-WAHL VORN – HISTORISCHE WENDE?

In Nordirland steht am Donnerstag gleichzeitig mit der Wahl des Regionalparlaments ein Richtungsentscheid für die Zukunft der britischen Provinz an, in der pro-britische Unionisten jahrelang maßgeblich die Geschicke bestimmten. Den letzten Umfragen zufolge liegt jetzt aber die katholisch-nationalistische Partei Sinn Fein, die für eine Vereinigung der Provinz mit dem EU-Staat Irland eintritt, im Schnitt sechs Prozentpunkte vor der Democratic Unionist Party (DUP).

Bei einem Sieg Sinn Feins, die als politische Vertretung der früheren militanten Untergrundorganisation IRA bekanntgewordenen ist, würde erstmals eine nationalistische Partei stärkste Kraft in der Regierung in Belfast werden. Dies wäre Beobachtern zufolge ein historischer Wandel – 24 Jahre nachdem mit dem Karfreitagsabkommen der gewaltsame Nordirland-Konflikt beigelegt worden war.

Selbst wenn auch die nordirischen Wähler eher explodierende Lebenshaltungskosten sowie ein marodes Gesundheitssystem umtreiben, könnte Sinn Fein einen Triumph bei dem anstehenden Votum als Etappensieg auf dem Weg zur Abspaltung werten. So hatte Sinn-Fein-Spitzenpolitikerin Michelle O’Neill erst unlängst erklärt, nach ihrer Einschätzung könne es noch vor Ende des Jahrzehnts zu einer Vereinigung mit der Republik Irland kommen. O’Neill war nordirische Vize-Regierungschefin und musste Anfang Februar zurücktreten, als Regierungschef Paul Givan von der protestantischen, pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP) aus Protest gegen Brexit-Handelsregeln hinwarf.

Nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 müssen Vertreter des katholischen und des protestantischen Lagers immer zusammen regieren. Der EU-Ausstieg Großbritanniens hat der Nordirland-Frage neue Brisanz verliehen und vor allem zu Diskussionen über die Grenze zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland geführt. Beim Brexit-Referendum 2016 stimmten die Nordiren für einen Verbleib in der EU. 

Nach „Partygate“ – Kommunalwahl als Stimmungstest für Johnson

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Titelfoto: Symbolfoto

Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.

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