Frankfurt/München, 19. Dez – Wie entwickeln sich die Zinsen? Wann endet der Krieg in der Ukraine? Und wie tief taucht Deutschland in die Rezession ab? Fragen, die Unternehmenslenker wie Investmentbanker vor dem Jahreswechsel umtreiben – und deren Antwort entscheidend ist dafür, wann das Geschäft mit Unternehmensfusionen und Übernahmen (M&A) wieder in Fahrt kommt. Im zu Ende gehenden Jahr ist das Transaktionsvolumen mit deutschen Unternehmen nach Refinitiv-Daten um gut ein Drittel eingebrochen, auf den niedrigsten Wert seit 2017. Auch das kommende erste Quartal oder sogar das erste Halbjahr 2023 haben die Berater fast abgeschrieben, dafür ist zu wenig Bewegung hinter den Kulissen. Sie hoffen auf die zweite Hälfte des Jahres.
Investmentbanker berichten, es fehle zurzeit vor allem an der Finanzierung. Eine Milliarde Euro lasse sich aufbringen, doch an größere Kredite trauten sich die Banken zuletzt immer weniger heran, berichtet Christopher Droege. „Damit die Finanzierungsmärkte wieder öffnen, muss die Volatilität rund um die Zinsen verschwinden“, bringt es Tibor Kossa auf den Punkt. Kossa und Droege führen das M&A-Geschäft der US-Investmentbank Goldman Sachs in Deutschland gemeinsam. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, dass die Inflation nicht weiter zunimmt. Auch Rainer Langel von der Investmentbank Macquarie rechnet nicht damit, dass sich der M&A-Markt im Frühjahr erholt. „In der zweiten Jahreshälfte erwarten wir eine Belebung.“ Dann werde man auf den Kreditmärkten wohl wieder klarer sehen, hofft er.
FINANZINVESTOREN MÜSSEN GELD AUSGEBEN
Vor allem Finanzinvestoren leiden unter der Zurückhaltung der kreditgebenden Banken. Trotzdem waren sie in diesem Jahr an jedem fünften Unternehmenskauf oder -verkauf in Deutschland beteiligt. Sie finanzieren normalerweise etwa die Hälfte einer Übernahme auf Pump, um die Rendite nach oben zu treiben. Martin Suter von der Investmentbank Rothschild glaubt, dass sich ihre Chancen bei den Banken im zweiten Halbjahr verbessern. „Es gibt weiterhin viel Kapital mit Anlagedruck“, sagt Suter, Co-Chef des Investmentbanking für den deutschsprachigen Raum. Die Eigenkapitalfonds, die die Private-Equity-Firmen bei ihren Investoren eingeworben haben, sind vielfach so groß wie nie.
Nicht alle können oder wollen abwarten, bis die Kredite wieder fließen, und basteln deshalb an Alternativ-Strategien. „Private-Equity-Firmen überlegen, ob sie Transaktionen bis zu einem einstelligen Milliardenvolumen ganz mit Eigenkapital finanzieren, mit der Möglichkeit, sie nach zwei Jahren (mit Krediten) zu refinanzieren“, weiß Langel. Christian Ollig, der für den US-Investor KKR das Geschäft in Deutschland, Österreich und Schweiz verantwortet, bestätigt: „Grundsätzlich hat KKR die Flexibilität, neue Investments nur mit Eigenkapital abzuschließen.“ Kai Tschöke, Suters Kollege bei Rothschild, geht davon aus, dass Finanzinvestoren auch börsennotierte Firmen ins Visier nehmen.
Sorgen, dass Finanzinvestoren die Firmen aus ihrem Portfolio nicht wieder an den Mann bringen können, macht sich KKR-Manager Ollig nicht. „Es gibt Grund zum Optimismus – trotz der Unsicherheit. Viele Mittelständler wollen über Zukäufe wachsen.“ Auch große Unternehmen dürften sich 2023 wieder deutlich aktiver umsehen, glaubt Tschöke. „Wir erwarten daher vermehrt Transaktionen in den klassischen deutschen Industriebranchen.“
Wer aber diesseits und jenseits des Atlantiks wo zukauft, ist für Berthold Fürst, Co-Chef des weltweiten M&A-Geschäfts der Deutschen Bank, nicht ausgemacht: „Der starke Verfall von Euro und Pfund Sterling sollte Übernahmen europäischer Firmen durch US-Unternehmen anschieben“, sagt er. „Andererseits könnten Europäer angesichts der geopolitischen Unsicherheiten und der schwachen Konjunktur auf dem Kontinent auch ihre Chance in den USA suchen. Schon im laufenden Jahr lagen 40 Prozent der Übernahmeziele deutscher Firmen in den USA.
M&A-Banker hoffen Mitte 2023 auf Ende der Durststrecke
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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