Samstag, April 27, 2024
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Hintergrund: China spricht – Die Bedeutung des Telefonats von Xi mit Selenskyj

Berlin, 28. Apr – Seit Chinas Präsident Xi Jinping am Mittwoch überraschend Kontakt mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj aufnahm, rätseln westliche Regierungen über Motive und Folgen des Schritts. Denn seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hatten sie lange vergeblich darauf gedrungen, dass sich Xi nicht nur mit dem befreundeten Russland abspricht, sondern auch mit dem überfallenen Land – zumal Peking selbst ein Positionspapier für eine Beendigung des Krieges in der Ukraine vorlegte.

Jetzt fallen die Reaktionen von Washington bis Berlin auf das Telefonat zwar vorsichtig positiv aus. Aber während der Kreml umgehend betonte, dass man an den eigenen Kriegszielen in der Ukraine festhalte, unterstrich die Bundesregierung: „Grundlage für die Entwicklung eines fairen Friedens in der Ukraine ist ein Truppenrückzug Russlands.“

Deshalb dämpft ein EU-Diplomat gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters jede Euphorie: „Das Telefonat hat nichts daran geändert, dass China fest an der Seite Russlands steht, auch wenn man offiziell neutral sein will“. Solange Peking nicht offen zwischen Angreifer und Opfer unterscheide, werde das Land kein Vermittler sein, zeigt man sich auch in der Bundesregierung sicher. Um glaubwürdig zu sein, müsse der neu ernannte chinesische Sonderbeauftragte eben nicht nur durch westliche Hauptstädte reisen, sondern auch nach Moskau.

EXPERTE: „DIE UKRAINE IST FÜR CHINA EHER EIN SPIELBALL“

„Die Ukraine ist für China eher ein Spielball in einem viel größeren geopolitischen Spiel“, sagt der China-Experte Sebastian Heilmann von der Universität Trier zu Reuters. „Ich habe keine Zweifel, dass Xi sein Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin eng abgestimmt hat.“ Heilmann vermutet deshalb, dass Chinas Initiative ausgerechnet vor der erwarteten ukrainischen Frühjahrsoffensive auch dazu dienen könnte, diese mit der vermeintlichen Aussicht auf Friedensgespräche bremsen zu wollen. „Es gibt schon die Sorge, dass China auf einen Deal ‚Frieden gegen Gebiete‘ hinwirken will“, betont auch ein EU-Diplomat.

Allerdings wird diese Meinung nicht von allen geteilt. „Das Telefonat dürfte eher ein Eingeständnis sein, dass Peking nicht weit gekommen ist mit dem Einwirken auf Putin“, vermutet Marina Rudyak, China-Expertin an der Universität Heidelberg. Die Führung in Peking habe bei aller Machtfülle in den vergangenen Monaten gemerkt, dass es auf Russland bei diesem für China eher störenden Krieg nicht wirklich Einfluss habe. Deshalb habe man entschieden, nun auch selbst mit der Ukraine zu sprechen. Für diese These spricht die fast trotzige Reaktion des Kremls.

Zudem erklärt Rudyak den Zeitpunkt des Xi-Selenskyj-Gesprächs damit, dass der chinesische Botschafter in Frankreich, Lu Shaye, mit seinen umstrittenen Bemerkungen über eine angeblich fehlende völkerrechtliche Absicherung der Unabhängigkeit ehemaliger Sowjetrepubliken im ganzen postsowjetischen Raum für Unruhe sorgte. „Ich denke, dass die chinesische Regierung nach den Lu-Äußerungen nachgesteuert hat“, sagt sie zu Reuters. Peking habe beruhigen müssen. „Das Telefonat mit Selenskyj ist auch ein Zeichen an Zentralasien.“ 

CHINA WILL DEN WESTEN BEEINDRUCKEN – UND SPALTEN

In einem sind sich aber alle befragten Experten einig: „China versucht ganz klar, in Europa als konstruktive Macht wahrgenommen zu werden“, sagt etwa Moritz Rudolf vom Paul Tsai China Center der Yale Law School. Das Telefonat sei ein Anzeichen, dass Xi die Beziehungen zu Europa angesichts der Spannungen mit den USA und den sich ausweitenden Handelsbeschränkungen nicht verschlechtern möchte. Deshalb intensiviert Peking auch unabhängig vom Ukraine-Thema die Kontakte. Gerade erst führte etwa der chinesische Handelsminister Gespräche in Berlin und traf Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder. Am 20. Juni stehen in Berlin deutsch-chinesische Regierungskonsultationen an. 

„Gerade der Macron-Besuch in Peking hat China aber auch gezeigt, dass die europäische Position schwankt“, meint Heilmann. Es sei alte Praxis der chinesischen Führung, die Europäer bei Differenzen gegeneinander auszuspielen. Deshalb rät er dazu, dass die EU-Kommission und vielleicht auch Frankreich an den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen teilnehmen sollten. „Man sollte China nie allein gegenübertreten“, mahnt er mit Blick auf die sich ändernden Machtverhältnisse zwischen Deutschland mit seinen rund 84 Millionen Einwohnern und der aufstrebenden Supermacht mit einer Bevölkerung von mehr als 1,4 Milliarden Menschen. 

Auch Xi sei aber derzeit ein Getriebener. Denn letztlich bewirke der Ukraine-Krieg, dass die Entwicklung nicht nur für Russland in eine falsche Richtung laufe: Statt einer Schwächung der Nato rüste diese nun deutlich auf. „Schlimmer für China ist, dass die Nato mit der neuen Beobachterrolle etwa für Japan, Südkorea und Australien dabei ist, eine globale Organisation zu werden“, meint Heilmann. Das aber berühre Chinas Interesse im südchinesischen Meer und in der Taiwan-Frage. 

Hintergrund: China spricht – Die Bedeutung des Telefonats von Xi mit Selenskyj

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von Adam Hill auf Pixabay

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