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Halbe Feuertaufe – Scholz versucht sich in Washington als Krisenmanager

Washington, 08. Feb (Reuters) – Es war, als könnte Olaf Scholz es gar nicht abwarten, seine Botschaft unter die US-Bevölkerung zu bringen. Schon bevor er zu seinem Antrittsbesuch in Washington eintraf, hatte er in der „Washington Post“ auf Englisch ein Interview gegeben, in dem er den deutschen Ansatz in der Ukraine-Krise erklärte – und verteidigte.

In der Pressekonferenz mit US-Präsident Joe Biden dauerte es am Montag dann im Weißen Haus nicht einmal 13 Minuten, bis Scholz ungefragt auch auf Englisch sagte: Ja, die USA und Deutschland seien „absolut“ zusammen. Ja, man werde im Falle von Sanktionen gegen Russland dieselben Schritte gehen. Im Klartext: Auf Deutschland sei auch unter der Ampel-Regierung und seiner Kanzlerschaft Verlass.

Die permanenten Nachfragen, denen sich der SPD-Politiker in Washington immer wieder ausgesetzt sah, zeigen jedoch das Problem Deutschlands – und des Kanzlers. Obwohl Scholz immer wieder eine Doppelstrategie aus Gesprächs- und Sanktionsbereitschaft gegenüber Russland betonte, hat er mit dem Image der Bundesrepublik als Drückeberger zu kämpfen – was den neuen Kanzler sichtlich ärgert. „Nonsens“ sagte er etwa knapp in einem fast 20-minütigen Interview mit dem Sender CNN zur Kritik aus der Ukraine, Deutschland sei kein verlässlicher Partner mehr.

Das Misstrauen hat nach Einschätzung von EU-Diplomaten drei Gründe. Zum einen liegt dies an der historischen Rolle, die die Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten eingenommen hat – als militärisch zögerliches wirtschaftliches Schwergewicht.

Scholz

Schon die Kanzler Gerhard Schröder und Angela Merkel mussten sich wegen ihrer Weigerungen, bei westlichen Kriegseinsätzen im Irak und Libyen teilzunehmen, den Vorwurf gefallen lassen, Deutschland sei nicht verlässlich. In der Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm und die russische Annexion der Krim gab es zum anderen das Misstrauen, Deutschland könnte eigene wirtschaftliche Interessen über Prinzipien stellen – obwohl dann ausgerechnet Berlin an der Spitze der Sanktionsbewegung stand.

Dazu kommt aber drittens das Auftreten von Scholz selbst. Auch in Washington vermied er wieder das Wort Nord Stream 2 überhaupt in den Mund zu nehmen.

Er erklärte dies mit nötiger „strategischer Ambiguität“ – Russland solle im Unklaren gelassen werden, wie hoch die Kosten für eine Invasion der Ukraine wirklich seien. Aber der neben ihm stehende US-Präsident erklärte die Ostsee-Pipeline kurzerhand für tot, sollte Russland die Ukraine angreifen. Von Ambiguität war da nichts zu spüren.

Dazu kommt, dass Scholz auch bei CNN vorgehalten wurde, dass Deutschland zwar ohne Probleme Waffen an Israel, Ägypten oder die Kurden lieferte, aber nun im Falle der Ukraine davor zurückschreckt.

Da spielt es keine Rolle, dass die US-Haltung kaum weniger kompliziert als die deutsche ist: Biden wollte am Montag etwa partout nicht auf die Frage antworten, ob denn die USA ihre milliardenschweren Öleinkäufe in Russland stoppen würden – obwohl er selbst vorschlug, Putin die Einnahmen aus den Rohstoffverkäufen zu nehmen.

Immerhin half Biden Scholz aus der Patsche, indem der US-Präsident höchstpersönlich Zweifel an der deutschen Verlässlichkeit wegwischte. Biden lobte zudem die hohen deutschen Finanzhilfen für die Ukraine sowie die deutschen Beiträge zur Nato. Im Interview bei CNN hielt Scholz dann ein so flammendes Plädoyer für die Demokratien im Kampf gegen autoritäre Regime wie Russland und China, dass der Moderator Jack Tapper am Ende sichtlich beeindruckt war. Das klare Bekenntnis zur transatlantischen Zusammenarbeit, Nato und EU war dann auch die Botschaft des SPD-Politikers, die bei den elf hochrangigen US-Senatoren am besten ankam, die er vor seinem Rückflug zum Kennenlernen und Erklären in die Residenz der deutschen Botschafterin in Washington eingeladen hatte.

NUN FOLGEN EUROPA – UND PUTIN

Aber nun muss Scholz die nicht minder schwierige Übung meistern, auch noch die Europäer auf Linie zu bringen: Gleich nach seiner Rückkehr nach Berlin trifft Scholz die Präsidenten von Polen und Frankreich. Emmanuel Macron wird über seine Gespräche in Moskau briefen. Dann folgen Gespräche mit EU-Vertretern und Balten. Auch hier ist die klare Mission, eine einheitliche Position gegenüber Russland zu finden und gleichzeitig Verständnis für die Notwendigkeit von Gesprächen mit Moskau in Osteuropa zu sichern.

Der zweite Teil der Feuerprobe folgt dann Anfang kommender Woche: Dann muss Scholz zunächst zu der zunehmend kritischen Regierung in Kiew fliegen und im Anschluss nach Moskau. Schon die Erfahrung von Außenministerin Annalena Baerbock, deren Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Montag kurzfristig abgesagt wurde, zeigt, wie heikel die deutsch-ukrainischen Beziehungen sind. Und dann folgt das Treffen mit Putin. Halb Osteuropa wird an seinen Lippen hängen, um zu überprüfen, ob Scholz seine Doppelstrategie aus Entschlossenheit und Dialog erst meint. 

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