Bonn, 16. Okt (Reuters) – Im Streit der Ampel-Koalition über einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in Deutschland haben die Grünen rote Linien gezogen. Ein Bundesparteitag schloss am Wochenende neue AKW-Brennelemente und einen Weiterbetrieb des Atommeilers Emsland über 2022 hinaus aus.
Dies wurde als Rückenstärkung für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gewertet, dessen Verhandlungsspielraum damit aber auch eingeschränkt wurde. Die etwa 800 Delegierten unterstützten mit großer Geschlossenheit nicht nur Habecks Linie, für zwei Atomkraftwerke einen Reservebetrieb bis Mitte April 2023 zu ermöglichen. Sie setzten sich auch sehr deutlich für Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Auch der Kurs bei den Entlastungen angesichts hoher Energiepreise und Rekordinflation erhielt großen Rückhalt.
„Es lohnt sich, in der Regierung zu sein“, sagte Habeck beim Parteitag und räumte zugleich Reibereien in der Bundesregierung ein. „Ich will nicht schönreden, dass es an vielen Stellen manchmal hakt, und es ist auch gar nicht schön, manchmal auch gar nicht schön anzugucken.“ Er unterstrich sein Vorhaben, einen Weiterbetrieb der Atommeiler Isar II und Neckarwestheim II bis Mitte April 2023 als Reserve zur Stabilisierung des Stromnetzes zu ermöglichen.
Der Plan liegt aber auf Eis: Die FDP beharrte auf einem Weiterbetrieb des AKW Emsland und einer Verlängerung der Laufzeiten bis Frühjahr 2024. In der Koalition hieß es, Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Habeck wollten noch am Sonntag einen weiteren Lösungsversuch unternehmen, um damit auch einer Einigung bei der Umsetzung einer Gaspreisbremse den Weg zu bereiten.
BAERBOCK – DUCKEN UNS NICHT WEG
In der Friedens- und Sicherheitspolitik unterstrichen die Grünen ihren selbsterklärten Anspruch, sich pragmatisch der Realität zu stellen. Die Regierungsverantwortung sei keine Last oder Bürde, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). „Was wir nicht tun – und das ist der Unterschied auch zur Vorgängerregierung – uns in dieser Zeit wegzuducken.“ Die Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine entspreche einer Friedens- und Menschenrechtspartei. „Eigentlich müsste dieser Krieg nicht da sein, aber er ist nun mal da. Und deswegen übernehmen wir diese Verantwortung“, sagte Baerbock, die auf dem Parteitag wie Habeck mit großem Applaus bedacht wurde. Nimmt man Dauer und Häufigkeit des Beifalls als Gradmesser, kam Baerbock bei den Delegierten etwas besser an.
Die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour forderten mehr und schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine. Neben humanitärer Hilfe und Unterstützung für Geflüchtete brauche es auch militärischen Beistand, sagte Nouripour. „Das ist das Gebot der Stunde, dass wir so schnell wie möglich helfen.“ Lang attackierte den Oppositionsführer im Bundestag, CDU-Chef Friedrich Merz. Dieser habe gezeigt, „dass es gut ist, dass er keine Regierungsverantwortung hat in diesem Land“. Verantwortung heiße nicht, auf Angst zu setzen.
Auf dem ersten Bundesparteitag der Grünen seit Amtsantritt der Koalition mit SPD und FDP fanden Anträge gegen die Partei- und Regierungslinie nur wenige Befürworter. So scheiterten Forderungen nach einem Nein zum AKW-Reservebetrieb, nach einem Stopp schwerer Waffenlieferungen in die Ukraine oder nach einem Widerruf der Rüstungsexport-Genehmigung nach Saudi-Arabien.
Für eine aufgewühlte Klimadebatte sorgte am Sonntag die Braunkohle-Einigung in Nordrhein-Westfalen, die eine Abbaggerung des Dorfes Lützerath erlaubt. Die Ortschaft gilt vielen Grünen als Symbol des Widerstandes gegen die klimaschädliche Kohle. Habeck und seine nordrhein-westfälische Kollegin Mona Neubaur (Grüne) hatten sich mit dem Energiekonzern RWE verständigt, den Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. Im Gegenzug dürfen aber zwei Braunkohlekraftwerke länger als geplant betrieben und Lützerath abgebaggert werden. Die Grüne Jugend forderte auf dem Parteiag, diese Vereinbarung zu kippen. Die Abstimmung darüber stand am Sonntagnachmittag noch aus.
Grünen-Parteitag zieht rote Linien im AKW-Streit der Ampel
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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