Zürich/Frankfurt, 08. Mrz (Reuters) – Allen Gleichstellungs-Beteuerungen zum Trotz: Frauen sind an der Spitze von europäischen Banken weiterhin selten. Bei den 25 größten Banken des Kontinents gab es in den vergangenen zwei Jahren 22 Wechsel bei Konzern- und Aufsichtsratschefs. 21 dieser Posten gingen an Männer, wie eine von Reuters am Dienstag zum Internationalen Frauentag veröffentlichte Untersuchung ergab. Das zeigt, wie weit die Geldhäuser noch von einer Gleichstellung entfernt sind. In einem Bereich, der durchaus wettbewerbs-relevant sein kann, hinken die europäischen Institute ihren Wall-Street-Rivalen hinterher.
„Tim geht weg, und dann fragt man sich; wer sieht aus wie Tim?“, beschreibt Claire Godding, die frühere langjährige Leiterin des Bereichs Diversity bei BNP Paribas in Belgien, die Voreingenommenheit bei der Neubesetzung von Stellen.
„Es ist normalerweise keine Sarah.“ Als Hauptursache sieht die Expertin unbewusste Vorurteile. Zu den hartnäckigsten Hindernissen eines Wandels gehört aber auch die Arbeitskultur in den Instituten, die lange Zeit von Männern dominiert wurde, wie die Befragung von mehr als zwei Dutzend Managern, Aufsichtsrätinnen, Investoren und Wissenschaftlerinnen ergab. So bevorzugten Chefs Führungskräfte, die auch spätabends noch arbeiteten.
Unter den großen europäischen Häusern hat nur die britische NatWest eine Konzernchefin, während Frauen bei der spanischen Santander und der niederländische Rabobank die Aufsichtsräte leiten. Besser sieht es bei der nächsten Führungsebene aus. Bei den jeweils rund zehn bis 20 Führungskräften unter dem Vorstandsvorsitzenden liegt der Frauenanteil bei einem Viertel. Die acht US-Großbanken kommen im Durchschnitt auf 30 Prozent. Die von Reuters bis Anfang Februar erhobenen Daten spiegeln nicht die anstehenden Wechsel wider, die den Frauenanteil bei mehreren Banken in den kommenden Monaten erhöhen werden.
„UND PLÖTZLICH WURDE ES STILL IM RAUM“
Als die Europa-Chefin der CitigroupC.N, Kristine Braden, in die Region zog, war sie die erste Frau, die in eine Geschäftsleitung aufrückte. „Ich weiß noch, wie ich zu meiner ersten Sitzung kam und mich darauf freute, alle kennenzulernen“, erzählt sie. „In dem Raum, in dem zuvor fröhlich gescherzt wurde, wurde es plötzlich still.“ Männer und Frauen bauten Beziehungen auf unterschiedliche Weise auf. Während Frauen etwa Komplimente machten, scherzen Männer oft miteinander.
Citi-Chefin Jane Fraser schrieb Geschichte, als sie vor einem Jahr als erste Frau das Steuer einer Wall-Street-Bank übernahm. Flexible Arbeitszeiten seien zu Beginn ihrer Karriere für den Aufstieg entscheidend gewesen. „Diese Phase, in der ich Teilzeit arbeitete, aber mit den Kindern zusammen sein konnte, als sie noch sehr klein waren, war für mich sehr wertvoll“, sagte Fraser mit Blick auf ihre Anstellung bei der Beratungsfirma McKinsey. „Ich glaube wirklich nicht, dass ich heute hier wäre, wenn ich das nicht getan hätte.“
WO LANDEN DIE TALENTIERTEN FRAUEN?
„Old-Boys“-Netzwerke von Männern, die sich bei ihren Karrieren gegenseitig helfen, sind immer noch höchst lebendig. Beim Anteil der Frauen geht es aber nicht nur um soziale Gerechtigkeit. „Auf lange Sicht betrachten wir einen Mangel an Diversität als einen Mangel an Wettbewerbsvorteilen“, sagt Stephanie Niven, Fondsmanagerin bei Ninety One. „Mehr unterschiedliche Stimmen in einem Raum verbreitern das Verständnis und den Kontext der Entscheidungsfindung.“
Am größten sind die Gleichstellungs-Fortschritte bei den Aufsichtsräten – auch weil die Politik und die Investoren bisher vor allem hier ansetzten. Auf beiden Seiten des Atlantiks beträgt der Frauenanteil in den Gremien inzwischen 37 Prozent. „Wir stimmen über die Mitglieder der Aufsichtsräte ab, also lastet der Druck zuerst auf den Aufsichtsräten“, sagte Vincent Kaufmann, Direktor beim Stimmrechtsberater Ethos. „Aber ich kann mir vorstellen, dass sich fortschrittliche Investoren in den kommenden Jahren auf das Management konzentrieren werden, sobald wir diese Probleme gelöst haben.“
Auch Gavin Rochussen, Chef des Londoner Fondsmanagers Polar Capital, hält es für vergleichsweise einfach, Frauen in Aufsichtsräte zu wählen. Schwieriger sei es, Positionen auf der zweiten oder dritten Führungsebene zu besetzen. „Jedes Jahr verlassen viele talentierte Frauen die Universitäten und Schulen – zu wenige sind nach zehn oder 20 Jahren sichtbar“, sagte Gertrude Tumpel-Gugerell, Aufsichtsrätin bei der CommerzbankCBKG.DE. Nach der Erfahrung der ehemaligen BNP Paribas-Managerin Godding, die sich jetzt bei der belgischen Lobbyorganisation Febelfin mit dem Thema Diversität befasst, sind sich Geldhäuser des Ausmaßes der Barrieren nicht bewusst: „Die meisten Banken entdecken, dass sie zwei oder drei gläserne Decken statt einer haben.“
„DRAMATISCHER WANDEL“
Die Banken müssten ihre Denkweise ändern, sagte UniCredit-Chef Andrea Orcel zu Reuters. „Wir nehmen diese Verpflichtung ernst und sind uns bewusst, dass wirkliche Fortschritte nicht durch Quoten, sondern durch einen grundlegenden Kulturwandel in unserem Unternehmen erzielt werden.“ Finanzprofessorin Elena Carletti, die 2019 in den UniCredit-Aufsichtsrat berufen wurde, verweist auf die Fortschritte, die Italiens zweitgrößte Bank unter Orcel und Aufsichtsratschef Pietro Carlo Padoan erreichte. Seit 2019 hat das Institut den Frauenanteil auf 40 von vier Prozent erhöht – ein Spitzenwert unter den 25 untersuchten Banken. „Der Wandel ist dramatisch, und man kann ihn in der Bank spüren.“
Führungsriege der europäischen Banken ist immer noch eine Männerwelt
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