Berlin, 23. Sep – Die niedersächsische Landtagswahl am 9. Oktober entscheidet nach Ansicht des FDP-Spitzenkandidaten Stefan Birkner über den Weiterbetrieb des Kernkraftwerks in Lingen. „Die Landtagswahl ist auch eine Entscheidung über die Zukunft der Kernkraft in Deutschland“, sagte Birkner der Nachrichtenagentur Reuters in einem am Freitag veröffentlichten Interview.
Es gehe nicht um einen dauerhaften Wiedereinstieg. „Aber die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke mit neuen Brennstäben sollten noch drei, vier Jahre laufen“, sagte Birkner. „In der Bevölkerung herrscht großes Unverständnis, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen.“
Birkner warf Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine „Verweigerungshaltung“ vor, die „ausschließlich mit der Rücksicht auf die niedersächsischen Grünen im Landtagswahlkampf zu tun“ habe. Wirkliche Entscheidungen würden erst danach getroffen. Laut Ifo-Institut hätten die drei Atomkraftwerke einen Strompreiseffekt von vier Prozent – „den sollte man mitnehmen“. Die Atommeiler lieferten zudem sechs Prozent des Strombedarfs, was etwas mehr Sicherheit bringe. Zudem seien sie sicher.
„Völlig absurd ist die Vorstellung, im Notfall Ölschiffe vor der Küste einsetzen zu wollen“, sagte er. In dem vom Wirtschafts- und Umweltministerium vorgelegten Stresstest, der die Folgen einer Abschaltung für die Netze untersucht hatte, wurde vorgeschlagen, dass in Niedersachen statt des Kernkraftwerks Lingen im Notfall auch Ölkraftwerke auf Schiffen eingesetzt werden könnten.
Birkner warf vor allem den Grünen vor, eine unsachliche Debatte zu führen. „Das Argument von der angeblichen Verstopfung der Netze durch das Kernkraftwerk Lingen ist blanker Unsinn.“ Die Netzbetreiber betonten ausdrücklich, dass Lingen das Netz nicht „verstopfe“, sondern im Gegenteil stabilisiere. „Denn die Schwachstelle liegt nördlich in der Leitung von Dörpen zum Kraftwerk, durch die manchmal viel Windenergie eingeleitet wird.“ Natürlich müsse die Erneuerbare Energie sehr viel schneller ausgebaut werden. „Aber Wind und Sonne werden uns nicht kurzfristig helfen.“ Eine Koalition mit den Grünen in einer Ampel zusammen mit der SPD oder einem Jamaika-Bündnis mit der CDU hält Birkner trotz des Streits über die Atomkraft nicht für unmöglich.
Birkner zeigte sich gelassen angesichts einer neuen Umfrage, die die FDP in Niedersachsen nur bei fünf Prozent sieht. Das sei eine „Momentaufnahme“, die Liberalen hätten sehr wohl eine Regierungsoption. „Denn ich sehe weder ein rot-grünes Bündnis, von dem SPD und Grünen dauernd reden, noch kann die CDU nach jetzigem Stand eine Regierung ohne uns bilden.“ Deshalb blieben sowohl eine Ampel als auch Jamaika eine Option.
Der FDP-Landesvorsitzende wies den Eindruck zurück, dass seine Partei im Land unter der Regierungsbeteiligung der Liberalen im Bund leidet. „Die FDP in der Ampel-Regierung in Berlin bedeutet für uns keinen Gegenwind.“ Sie nehme ihre Rolle gegenüber zwei linken Parteien immer besser wahr. Birkner stellte sich in der Debatte um die Schuldenbremse ausdrücklich an die Seite von Finanzminister Christian Lindner. „Ich sehe den Zeitpunkt nicht für gekommen, die Schuldenbremse erneut auszusetzen“, betonte Birkner. „Denn die Bundesregierung muss erst einmal darüber reden, wo sie Geld einsparen kann.“ Die Projekte im Koalitionsvertrag hätten anders als die Schuldenbremse alle keinen Verfassungsrang. „Wenn die Notlage so groß ist, dann müssen zunächst alle anderen Projekte auf den Prüfstand gestellt werden.“ Man dürfe nicht noch in eine grenzenlose Verschuldung gehen.
Zugleich zeigte sich der FDP-Spitzenkandidat offen für Alternativen zur Gasumlage. Diese sei unpopulär, aber offenbar notwendig. „Wir sind offen, falls es alternative Wege geben sollte, um die Gasversorger zu stabilisieren“, betonte Birkner. Jetzt müsse man die Umlage finanzverfassungsrechtlich prüfen, sagte er in Anspielung auf die Debatte, ob staatlich übernommene Gasversorger Geld aus der Umlage bekommen könnten. „Je eher wir darauf verzichten können, desto besser.“
FDP-Spitzenkandidat – Niedersachsen-Wahl entscheidet über Kernkraft
Quelle: Reuters
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