Versailles, 11. Mrz (Reuters) – Die Europäische Union hat der Ukraine eine Beitrittsperspektive signalisiert, ohne sich aber auf eine Zusage oder einen Zeitraum festzulegen. Auf dem zweitägigen informellen EU-Gipfel in Versailles beschlossen die 27 Staats- und Regierungschefs eine Formulierung, dass man die EU-Kommission um die Prüfung des am 28. Februar gestellten Beitrittsantrages bitte.
Einige Regierungschefs wie der litauische Präsident Gitanas Nauseda betonten am Freitag, dies sei ein klares Signal für einen späteren EU-Beitritt der Ukraine. Andere wie der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und seine finnische Kollegin Marin Sanna betonten dagegen, dass es bei aller Solidarität auch für die Ukraine kein abgekürztes Beitrittsverfahren geben könne.
Es wäre sonst „ein Schlag ins Gesicht“ anderer Beitrittsaspiranten etwa auf dem Westbalkan, die sich seit Jahren bemühten, die EU-Anforderungen zu erfüllen, sagte Rutte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die EU zuvor vehement aufgefordert, sein Land sehr schnell – quasi im Eilverfahren – in die Europäische Union aufzunehmen, weil er sich dadurch besseren Schutz gegenüber russischen Angriffen erhofft. SPD-Chef Lars Klingbeil forderte im „Spiegel“ eine grundsätzliche Aufnahmezusage der EU, betonte allerdings ebenfalls, dass der Prozess sehr lange dauern werde.
Normalerweise dauert eine Prüfung von Aufnahmewünschen, die mittlerweile auch Georgien und die Republik Moldau gestellt haben, in der EU-Kommission zwischen 15 bis 18 Monaten. Danach würde sich bei einem positiven Votum ein jahrelanger Prozess der Übernahme von EU-Regeln durch Beitrittskandidaten anschließen. Der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa sagte am Freitag, eine Mehrheit der EU-Staaten sei für ein klares Signal für einen EU-Beitritt der Ukraine. „Da sind wir aber noch nicht. Ich denke, wir müssen auf den nächsten Gipfel warten, wenn uns die Situation auf dem Boden überzeugt haben wird“, sagte er mit Blick auf die russische Invasion. Allerdings nimmt die EU keine Länder mit ungeklärten territorialen Fragen auf.
Am Donnerstag hatten bereits Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Europaminister Clement Beaune betont, dass die EU auch aufnahmebereit sein müsse. Scholz hatte deshalb erneut Mehrheitsentscheidungen in der EU gefordert.
Die 27 Regierungschefs und Regierungschefinnen hatten bis in die Nacht auf Freitag fünf Stunden lang über die richtige Antwort auf die russische Invasion verhandelt. Der EU-Außenbeauftragter Josep Borrel kündigte an, dass die EU-Kommission weitere 500 Millionen Euro Militärhilfe vorschlagen wolle. Dies würde die bisherige Hilfe in diesem Bereich in etwa verdoppeln.
Er rechne fest mit einer Zustimmung der Regierungen. In den vertraulichen Beratungen, in denen die Staats- und Regierungschefs – wie bei vielen Beratungen über Russland – ihre Handys abgeben mussten, ging es auch um weitere Sanktionsschritte gegen Moskau angesichts der anhaltenden russischen Bombardierungen in der Ukraine. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna warnte dabei trotz nötiger Hilfen für die Ukraine vor einer Ausweitung des Konflikts. Die Lage in der Ukraine sei nach den russischen Angriffen „herzzerreißend“. „Aber wir wollen auch sicherstellen, dass wir nicht im Dritten Weltkrieg enden“, fügte sie hinzu.
DEBATTE ÜBER ENERGIESICHERHEIT
Am Freitag stand zudem die Frage im Vordergrund, wie man gemeinsam die Verteidigungsfähigkeit und die Versorgungssicherheit bei Energielieferungen stärken kann. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte noch in der Nacht auf Twitter den Vorschlag angekündigt, dass die Gasspeicher in der EU bis zum 1. Oktober zu 90 Prozent gefüllt sein müssen.
Damit will man eine größere Versorgungssicherheit für den nächsten Winter erhalten, auch wenn es zu einem Stopp der russischen Gaslieferungen kommen sollte. Als Zieldatum für ein Ende der Importe aus Russland sind die Jahre 2030 und 2027 im Gespräch. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kündigte an, dass die EU anders als die USA keinen Importstopp für russische Gas, Öl oder Kohle erlassen wolle. Auch die Bundesregierung hatte diese Sanktion mit Blick auf die derzeit noch hohe Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen Deutschlands und zahlreicher anderer EU-Staaten abgelehnt.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Gastgeber des Gipfels will zudem weitere Investitionen auf europäischen Ebene in den Bereichen Verteidigung und Energie vorgeschlagen. Dabei gilt als umstritten, ob es dafür einen neuen Finanztopf nach Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds geben soll. Hintergrund ist, dass nach der russischen Invasion in die Ukraine und die folgenden Sanktionen das Wirtschaftswachstum in der EU nach unten korrigiert werden muss. Gerade südliche EU-Länder haben aber schon durch die Corona-Pandemie einen sehr hohen Schuldenstand. Die Bundesregierung hat dagegen auf nationaler Ebene ein Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr mit einer Kreditaufnahme von 100 Milliarden Euro beschlossen.
EU signalisiert Ukraine Beitrittsoption – aber ohne Abkürzung
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.