Update Berlin, 19. Okt – Die Bundesregierung will auch Strom für Haushalte und Industrie ähnlich wie bei der geplanten Gaspreisbremse verbilligen. Dabei soll als Basis ein Jahresverbrauch der Vergangenheit herangezogen werden, heißt es in einem ersten Entwurf für die sogenannte Strompreisbremse aus dem Wirtschaftsministerium, der Reuters am Mittwoch vorlag. „Soweit möglich und sinnvoll Orientierung an Vorschlägen der Gaspreiskommission“, schreiben die Experten.
Die Erstattung einer Monats-Abschlagszahlung, wie sie von der Gaskommission vorgeschlagen wurde, wird jedoch nicht explizit erwähnt. Finanziert werden soll die Entlastung mit der Abschöpfung sogenannter Zufallsgewinne der Stromerzeuger, wie es auch die EU beschlossen hat. Die großen Energieverbände lehnten die Überlegungen als zu bürokratisch oder sogar rechtswidrig ab.
Die Regierung erwägt dem Papier zufolge zur Finanzierung der Entlastung, 90 Prozent der Erlöse der Strom-Unternehmen einzuziehen, die oberhalb der Erzeugungskosten plus eines Gewinnaufschlags liegen. Dies soll ab Dezember greifen. Für Geschäfte am Spotmarkt, also kurzfristigem Handel, könne bereits rückwirkend ab März abgeschöpft werden. Wie viele Einnahmen sich die Regierung davon verspricht, geht nicht aus dem Papier hervor. Sowohl Gas- als auch Strompreisbremse sollen am 18. November im Kabinett beschlossen werden.
Hintergrund ist, dass im Zuge der Gaspreise auch die Strompreise rasant gestiegen sind. Dies geht auf eine Besonderheit des Strommarktes zurück, bei dem vor allem Gaskraftwerke den Preis bestimmen. Haushaltskunden müssen mindestens mit einer Verdopplung rechnen. Auf der anderen Seite sind die Kosten der meisten Erzeuger aber nicht im gleichen Maße gestiegen. Erneuerbare Energien, Atom- und Braunkohle-Kraftwerke produzieren vergleichsweise günstig und garantieren so derzeit extrem hohe Erlöse an den Strombörsen – sogenannte Zufallsgewinne.
ABSCHÖPFUNG JE NACH ERZEUGUNGSART
Die EU-Kommission hatte daher bereits einen Rahmen gesetzt für eine Abschöpfung, auf Drängen Deutschlands den einzelnen Ländern dabei aber viel Spielraum gelassen. Das Wirtschaftsministerium schlägt nun vor, die Abschöpfung je nach Erzeugungsart abzustufen. Dabei wird zunächst einmal der Kostenblock garantiert. Zum Beispiel werden im Konzept grundsätzlich für Erneuerbare Energien rund zehn Cent pro Kilowattstunde angesetzt. Dazu kommt ein Aufschlag für Erzeugungsarten, hier Sicherungszuschlag genannt, von weiteren drei Cent.
Bei Kernenergie sind es vier Cent plus drei Cent Aufschlag. Alles was darüber am Markt von den Erzeugern erlöst wird, wird zu 90 Prozent abgeschöpft, heißt es in dem Konzept. Gerade am Spotmarkt für den Verkauf von Strom für den nächsten Tag lässt sich derzeit ein Vielfaches erzielen. Die Regierung erwägt dem Papier zufolge allerdings, bei Strom aus Steinkohle, Erdgas und Biomethan Gewinne nicht abzuschöpfen. Hier seien die Erzeugungskosten deutlich höher. Zudem soll Biomethan auch das knappe Erdgas ersetzen.
Deutlich komplizierter sei die Abschöpfung der Gewinne am Terminmarkt, also wenn Strom zur Lieferung in zwei oder drei Jahren verkauft wird, schreiben die Ministeriumsexperten. Hier decken die meisten Unternehmen und Stadtwerke ihren erwarteten Bedarf, um von den stark schwankenden Preisen am Spotmarkt unabhängiger zu sein.
Das Wirtschaftsministerium sieht das Problem, dass Erzeuger je nach Konzept der Abschöpfung ihren Strom nur noch am Spotmarkt oder umgekehrt nur noch am Terminmarkt anbieten würden, was wiederum erheblich Preisverzerrungen an den Märkten auslösen würde.
Der Bundesverband der Energiewirtschaft (BDEW) erklärte, die Branche sei bereit, sich an den Folgen der Krise zu beteiligen. „Wir stehen zu unserer Verantwortung und möchten uns solidarisch zeigen“, sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. „Insbesondere die vorgeschlagene rückwirkende Regelung ist aber hochproblematisch.“ Zudem seien die Vorschläge zu kompliziert: „Das hat mit der Losung, das Vorhaben möglichst einfach zu gestalten, nichts zu tun.“
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) nannte Teile der Vorschläge rechtswidrig. „Eine Rückwirkung massiver Markteingriffe auf den März 2022 ist nach unserer Einschätzung verfassungswidrig“, sagte BEE-Präsidentin Simone Peter. Die Kosten- und Versorgungskrise der fossilen Energieträger dürfe nicht zulasten der Energieträger gehen, die die Strompreise schon heute senkten und für die Einhaltung der Klima- und Erneuerbaren-Ausbauziele unverzichtbar seien.
Jana Michaelis von der auf Energierecht spezialisierten Kanzlei Rosin Büdenbender nannte die Rückwirkung der Gewinnabschöpfung des Konzepts ebenfalls fragwürdig. „Dazu berücksichtigt es in keiner Weise, dass neben Energieversorgern auch branchenfremde Unternehmen wie Banken in der Vermarktung von Commodities wie Strom tätig sind.“ Der Vorschlag diene den finanziellen Interessen von internationalen Energiehändlern, die im Vorschlag unberücksichtigt blieben.
Bund will Strom wie Gas verbilligen – Stromerzeuger sollen zahlen
Quelle: Reuters
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