Karlsruhe, 14. Jun (Reuters) – Das antisemitische Sandsteinrelief an der Stadtkirche von Wittenberg muss nicht entfernt werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Dienstag entschieden. Dabei wurde der beleidigende und rechtsverletzende Charakter der mittelalterlichen Darstellung vom BGH bejaht. Die Beleidigung des Judentums sei 1988 aber durch eine Bodentafel und eine weitere Mahntafel beseitig worden, so die Begründung. Damit wurde die Klage eines Mitglieds der jüdischen Gemeinde rechtskräftig abgewiesen. Der Kläger hatte die Beseitigung verlangt, weil nur dadurch die schwere Beleidigung beseitigt werden könne. Bereits in den Vorinstanzen war er gescheitert.
Unmittelbar nach der Urteilsverkündung kündigte der Pfarrer der Wittenberger Stadtkirche, Alexander Garth, jedoch eine eindeutigere Distanzierung von der sogenannten „Judensau“ an. „Wir müssen etwas machen, das lauter spricht als dieses Schandmal da oben“, sagte Garth. Das aus dem Jahr 1290 stammende Relief zeigt Juden, die an einem Schwein saugen, eine weitere als Rabbiner gekennzeichnete Figur hebt den Schwanz des Tieres und schaut ihm in den Hintern. „Isoliert betrachtet verhöhnt und verunglimpft das Relief das Judentum als Ganzes“, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters in der Urteilsverkündung. Es handle sich um „in Stein gemeißelten Antisemitismus“.
Aber die Evangelische Gemeinde installierte fünfzig Jahre nach der Reichspogromnacht der Nationalsozialisten unter anderem eine Tafel mit der Überschrift „Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg.“ Dort heißt es unter anderem auch zur historischen Erläuterung: „An der Südostecke der Stadtkirche Wittenberg befindet sich seit etwa 1290 ein Hohn- und Spottbild auf die jüdische Religion. Schmähplastiken dieser Art, die Juden in Verbindung mit Schweinen zeigen – Tiere, die im Judentum als unrein gelten – waren besonders im Mittelalter verbreitet. Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke. Judenverfolgungen fanden in Sachsen Anfang des 14. Jahrhunderts und 1440 statt, 1536 wurde Juden der Aufenthalt in Sachsen grundsätzlich verboten.“ In unmittelbarer Nähe wurde eine Bodenplatte am Fuß der Kirche eingelassen, wo es heißt: „Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen“.
Durch diese Tafeln sei der rechtsverletzende Zustand beseitigt worden, urteilte nun der BGH. Denn das Schandmal sei dadurch zu einem „Mahnmal zum Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von Juden bis hin zu Shoah“ umgewandelt worden. Der Vorsitzende Richter verwies auf die Rechtsprechung, wonach der der objektive Gesamteindruck zu bewerten sei. Ein unvoreingenommener Betrachter erkenne die inhaltliche Verbindung und auch die Distanzierung von der Darstellung. Aber auch wenn man die Distanzierung für nicht ausreichend halte, könne deshalb keine Entfernung verlangt werden. Denn wenn es mehrere Möglichkeiten gebe, müsse es der Evangelischen Gemeinde überlassen werden, wie sie den Störungszustand beseitige.
Möglich bleibt für den Kläger nun noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Aber eine Verfassungsbeschwerde ändert zunächst nichts daran, dass das BGH-Urteil rechtskräftig ist. Nur wenn das Bundesverfassungsgericht das Urteil wegen Grundgesetzverstoßes aufheben würde, wäre es nicht mehr gültig. (AZ: VI ZR 172/20)
BGH – Antisemitisches Relief in Wittenberg muss nicht entfernt werden
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