UPDATE Berlin, 06. Dez – Die geplanten Änderungen im Kartellrecht stoßen bei der deutschen Industrie auf heftige Kritik. „Es geht deutlich zu weit, wenn das Bundeskartellamt unabhängig von Kartellrechtsverstößen die Befugnis erhalten soll, Maßnahmen bis hin zur Entflechtung von Unternehmen vorzunehmen“, sagte der Präsident des Großhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura, am Dienstag in Berlin. Dies wären zu starke Eingriffe in den Markt. Der Industrieverband DIHK warf dem Grünen-geführten Wirtschaftsministerium vor, bestimmte Märkte ganz offenbar zunehmend politisch steuern zu wollen. Die angedachten Maßnahmen seien in Europa ohne Beispiel.
Die Bonner Behörde soll dem Wirtschaftsministerium zufolge künftig bei verkrusteten Strukturen besser gegen ganze Branchen vorgehen können – etwa die Mineralölbranche angesichts hoher Spritpreise. Ein entsprechender Gesetzentwurf – die elfte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – wird derzeit innerhalb der Ampel-Regierung abgestimmt und soll noch im Dezember ins Kabinett. Im Umfeld des Ministeriums hieß es, viele Kartellrechtsexperten hielten die Novelle für nötig. Kleinere und weniger etablierte Firmen seien ebenfalls dafür. Beispiele dafür seien der Startupverband sowie der Bundesverband für Sekundärrohstoffe und Entsorgung.
Nach einer sogenannten Sektorenuntersuchung soll das Kartellamt auch Eingriffsrechte erhalten, um mehr Wettbewerb in schwierigen Märkten durchzusetzen. Die Überprüfung soll zeitlich gestrafft werden, künftig maximal 18 Monate dauern, weitere 18 Monate sind dann für potenzielle Gegenmaßnahmen eingeplant. Als letztes Mittel soll die Zerschlagung von Konzernen eine Option sein.
„VÖLLIG FALSCHES SIGNAL“
BGA-Präsident Jandura sprach von einem „völlig falschen Signal“ in einer für Unternehmen schwierigen Phase wegen der sprunghaft gestiegenen Energiepreise und der drohenden Rezession. „Unabhängig von Rechtsverstößen soll das Bundeskartellamt umfangreiche Regulierungsmöglichkeiten erhalten: von Eingriffen in die Vertragsgestaltung über Vorgaben zu Lieferbeziehungen bis hin zu einem Zwangsverkauf einzelner Unternehmensteile. Anknüpfung dafür ist der schwammige Begriff einer Marktstörung.“ Erfolg könne für Unternehmen zum Problem werden. „Dies schafft eine massive Unsicherheit und benachteiligt deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich.“
DIHK-Chefjustiziar Stephan Wernicke sagte Reuters, die Novelle ziele auf eine aktive staatliche Marktgestaltung. „Sie verstößt gegen bewährte Grundprinzipien des Europäischen Wettbewerbsrechts, wonach nur rechtswidriges Verhalten von Unternehmen sanktioniert wird.“ Zusätzliche Kompetenzen zur behördlichen Regulierung von Märkten seien nicht nötig. In einer gemeinsamen Stellungnahme führender Wirtschaftsverbände, darunter neben dem DIHK auch der Industrieverband BDI, der Autolobby VDA sowie des Handelsverbands HDE, heißt es, Unternehmen hätten keine Anhaltspunkte, Strafen vorherzusehen oder zu vermeiden. Denn die Maßnahmen setzten nicht bei rechtswidrigem Verhalten an. Es gebe keine Gesetzeslücke, dafür aber Kollisionen mit vorrangigem EU-Recht. „Es ist nicht Aufgabe des Bundeskartellamts, einen Markt neu zu strukturieren.“
Die Entflechtung von Unternehmen als letztes Mittel soll daran gekoppelt sein, dass eine erhebliche Störung des Wettbewerbs vorliegt. Im Mineralölsektor war dies bislang aber nicht nachzuweisen. Ende November teilte das Kartellamt mit, bei der Untersuchung der Hintergründe für die hohen Spritpreise nicht auf Hinweise illegaler Preisabsprachen großer Mineralölkonzerne gestoßen zu sein. Die Ermittlungen der Behörde dauerten aber an.
Mehr Befugnisse fürs Kartellamt bei bloßem Verdacht – Wirtschaft läuft Sturm
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von wal_172619 auf Pixabay
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