Berlin, 17. Nov – Fragt man in der Ampel-Koalition vertraulich nach der Zufriedenheit mit der Arbeit von Außenministerin Annalena Baerbock, gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen. Bei den Grünen erntet die 41-Jährige meist begeisterte Zustimmung, bei der FDP eine Mischung aus Lob und Kritik – und bei der SPD einiges Stirnrunzeln. Dort wird die frühere Kanzlerkandidatin der Grünen bei aller Wertschätzung teilweise als Opposition in der Ampel-Regierung angesehen. In Koalitionskreisen wird kritisiert, sie stelle ständig Entscheidungen von Kanzler Olaf Scholz – ihrem siegreichen SPD-Konkurrenten im Wahlkampf – infrage und beschädige damit das Image der Ampel-Regierung. Beobachter sehen dahinter auch die Absicht Baerbocks, sich erneut als Kanzlerkandidatin im nächsten Wahlkampf zu empfehlen.
Denn die forsche Außenministerin ist nach ihrem Absturz bei der Wahl im September 2021 in der Öffentlichkeit längst wieder im Höhenflug. In der neuen Forsa-Umfrage liegt sie bei den Zustimmungswerten ebenso wie im ZDF-Politbarometer vor Scholz und Vizekanzler Robert Habeck. Sie kommt offenbar an mit ihrer direkten und mitunter frechen Kommunikation – gerade im Kontrast zu dem oft herumdrucksenden Scholz. „Ich möchte hier einmal ganz undiplomatisch reden“, sagte sie in der Debatte um härtere Sanktionen gegen den Iran unlängst im Bundestag. Eine „sauklare Grundlage“ gebe es für den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands, kanzelte die Außenministerin andernorts sichtlich wissend um die unkonventionelle Wortwahl die Türkei und Ungarn dafür ab, die Aufnahme der beiden Nordländer in die transatlantische Allianz zu blockieren.
Ohnehin gibt sich Baerbock volksnah, sie wählt Worte, die die Menschen verstehen sollen, und bricht die meist komplexen Zusammenhänge der Außenpolitik auf die umgangssprachliche Ebene herunter. Das Problem: Koalitionsintern eckt sie genau deshalb an. Aufgelistet werden etwa ihre wiederholten Forderungen nach der Lieferung westlicher Panzer an die Ukraine. Die Außenministerin sagte zudem wiederholt, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse, während der Kanzler wie US-Präsident Joe Biden bewusst betonen, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dürfe. Zwischen beiden Zielen liegen Welten.
„PEINLICHE“ PROTOKOLLNOTIZ
Zuletzt knallte es in der China-Politik, etwa bei der Kabinetts-Entscheidung über den Einstieg der chinesischen Reederei Cosco601919.SS bei einer Betreibergesellschaft eines Terminals im Hamburger Hafen. Die kritische Protokollnotiz des Auswärtigen Amtes bei der Kabinettsentscheidung zu Cosco sei wegen offensichtlicher Fehler „peinlich“ gewesen, heißt es im Scholz-Lager. Allerdings stehen Grüne und FDP in der China-Politik näher bei Baerbock als bei Scholz. Die Außenministerin fühlt sich zudem durch ihre langjährige Ablehnung der Nord Stream 2-Pipeline bestätigt und unterstellt der SPD ihrerseits Naivität im Umgang mit autoritären Ländern.
Das bringe ihr zwar Pluspunkte bei den überwiegend China kritischen Medien und Denkfabriken in Berlin ein, sei aber als Außenministerin problematisch, stichelt man wiederum in der langjährigen Regierungspartei SPD. Dort wird gerne darauf verwiesen, dass das Agieren von Grünen und FDP offensichtlich von langer Oppositionszeit geprägt sei. Die Außenministerin solle nicht nur mit denen reden, mit denen sie ohnehin einer Meinung sei. „Das ist das Wesen der Diplomatie“, belehrt sie ein führendes Mitglied der Ampel-Koalition.
Das Problem für Baerbock: Sie kann ihre Unzufriedenheit zeigen – aber Scholz hat gerade in den vergangenen Wochen mehrfach gezeigt, wer „Koch“ und wer „Kellnerin“ in der Koalition ist – so hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) seinen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) einst in die Schranken gewiesen. Ein Beispiel war der China-Besuch von Scholz, den die Außenministerin erst kritisch sah, der dann aber wohl die Grundlage für die Verurteilung Russlands auf dem G20-Gipfel legte – die auch China mittrug.
Aber das ficht Baerbock nicht an – und muss es nach Meinung von Forsa-Chef Manfred Güllner auch nicht. „Denn das Amt als Außenministerin färbt auf sie ab und bringt ihr wie bei den meisten ihrer Vorgänger fast automatisch Sympathiepunkte“, sagt Güllner zu Reuters. Die Inhalte seien gar nicht entscheidend, wenn sie keine offensichtlichen Fehler mache. Und ihre klare Sprache und das Pochen auf mehr Moralismus in der Außenpolitik kommen an, wenn man auf die Umfragen blickt. Das könnte wichtig für die Aufstellung für die Bundestagswahl 2025 sein, bei der Baerbock wieder Ambitionen auf die Spitzenrolle der Grünen nachgesagt werden. „Die Entwicklung läuft eher auf eine Kanzlerkandidatin Baerbock zu“, sagt Forsa-Chef Güllner.
„BILD DEUTSCHLANDS WEITESTGEHEND GUT“
Wohl auch deshalb gibt es Spannungen nach Einschätzung mehrerer führender Ampel-Politiker nicht nur zwischen Scholz und Baerbock, sondern auch zwischen ihr und Wirtschaftsminister Habeck. Längst beobachtet man in SPD und FDP interessiert, wie sich beide Grüne ein Rennen um die Nummer-Eins-Position in ihrer Partei liefern. „Das gegenseitige Belauern der beiden ist selbst im Kabinett und Koalitionsausschüssen mit Händen zu greifen“, heißt es in der Ampel-Regierung.
Nachdem Habeck monatelang in den Medien gefeiert worden war, scheint nun Baerbock im Rennen Oberwasser zu haben. „Bei Habeck bricht der Nimbus weg, dass er die Probleme lösen kann“, erklärt Forsa-Chef Güllner dies mit Blick auf die Energiekrise. Bei den Grünen gibt es zudem Stimmen, die Habeck vorwerfen, zu viele für die Partei schmerzhafte Kompromisse bei Kohle und Gas bis hin zur Atomkraft akzeptiert zu haben. Solche Zugeständnisse müsse eine Außenministerin eben nicht machen. Daher erfreut sich Baerbock auch im Ausland mitunter großer Beliebtheit – wie etwa ihr litauischer Kollege Gabrielius Landsbergis betont.
„Die deutsche Außenpolitik steht besser da als unter einigen ihrer Vorgänger“, lobt auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Arbeit Baerbocks. „Das Bild Deutschlands nach außen ist weitestgehend gut.“ Aber der gebürtige Iraner sieht auch Kritikpunkte: „Bei ihrer Haltung zur Situation im Iran konnte ich lange keine Züge der von ihr sonst so hochgehaltenen feministischen Außenpolitik erkennen“, sagt Djir-Sarai zu Reuters. „Da war die Ministerin anfangs viel zu zurückhaltend.“
Forsche Außenministerin Baerbock reizt den Kanzler
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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