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Gaskommission für 96 Milliarden Entlastung bis Frühjahr 2024

Berlin, 10. Okt – Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission will Verbraucher und Wirtschaft bei den Gas- und Fernwärmepreisen um etwa 96 Milliarden Euro entlasten. Das Gremium stellte am Montag nach intensiven Beratungen über das Wochenende einen Plan bis zum Frühjahr 2024 vor. Diesen will die Bundesregierung nun prüfen und vermutlich auch umsetzen. Kritik kam, dass die Kommission zu spät eingesetzt wurde und nun unter immensem Zeitdruck arbeiten musste.

Außerdem werden auch viele Top-Verdiener von den Hilfen profitieren. Die Wirtschaft lobte aber, dass nun eine spürbare Entlastung in Sicht ist. Das Geld für die neuen Entlastungen soll aus dem 200 Milliarden Euro schweren Abwehrschirm kommen, den die Regierung wegen der hohen Energiepreise geschnürt hat.

Die Kommission schlug ein Zwei-Stufen-Modell vor. In einem ersten Schritt soll der Staat dabei im Dezember einmalig die monatliche Abschlagzahlung auf Gas oder Fernwärme übernehmen. Ab März 2023 bis Ende April 2024 soll dann eine Gaspreisbremse greifen, die für Industriekunden schon ab Januar einsetzt. Die genaue Höhe der Entlastung hängt letztlich von der Entwicklung des Gaspreises ab. 

„Entscheiden muss die Politik“, sagte Industrie-Präsident Siegfried Russwurm, der Mitglied der Kommission war. FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner kündigte an, die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP werde die Vorschläge „sehr rasch und weitgehend“ umsetzen. Ein Regierungssprecher sprach in Berlin von „mehreren Tagen“, die für die Bewertung nötig seien. 

Der massive Anstieg der Gaspreise berge eine soziale Sprengkraft, hieß es im Zwischenbericht der Kommission. In Deutschland wurden 2021 rund 1000 Terawattstunden Erdgas verbraucht – 40 Prozent davon entfallen auf private Haushalte und Kleingewerbe, 60 Prozent auf die Großindustrie. „Eine Kilowattstunde Gas kostet im Mittel derzeit 28,3 Cent für Neukunden. Vor einem Jahr um diese Zeit lag der Preis für Neukunden bei 6,8 Cent.“ Bei der Preisbremse ab März 2023 soll ein Grundkontingent von 80 Prozent nur zwölf Cent pro Kilowattstunde kosten, für den Rest gelten die Marktpreise, um einen Anreiz für Einsparungen zu setzen. Als Vergleichszeitraum wird der September 2022 genommen. Bei Fernwärmekunden sind 9,5 Cent je Kilowattstunde für das Grundkontingent vorgesehen. 

Bei der Dezember-Entlastung für Privathaushalte sowie kleine und mittlere Betriebe sollen die Versorger auf die Abschlagszahlung in dem Monat verzichten. Sie bekommen das Geld dafür vom Staat. „Der erhaltene Rabatt ist bei der Einkommenssteuererklärung als geldwerter Vorteil anzugeben“, so die Kommission. „Dabei sollen möglichst hohe Freibeträge gelten.“ Außerdem sind Hilfsfonds für Eigentümer und Mieter sowie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen vorgesehen.

PRINZIP GIESSKANNE WEGEN ZEITDRUCK 

Michael Vassiliadis, Kommissionsmitglied und Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie räumte ein, die Dezember-Entlastung sei ein wenig „Gießkanne“. Es sei keine Zeit gewesen für detailliertere Ansätze. „Uns war die Geschwindigkeit wichtiger.“ Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, kritisierte, Bewohner von Villen aus den 1970er Jahren mit Schwimmbädern würden jetzt besonders entlastet. Im Durchschnitt dürften Haushalte aus den oberen Einkommensklassen in etwa anderthalb mal so große Rabatte bekommen wie Haushalte im unteren Bereich. „Bei den Spitzenverbrauchern dürfte dieses Verhältnis noch einmal ein Mehrfaches höher ausfallen“, so Dullien. Immerhin werde die Kaufkraft der Verbraucher gestärkt, was wichtig für die Konjunktur sei. 

„Die volle Erstattung der Nebenkosten bietet gerade keine Einsparanreize und fördert reiche Haushalte mit hohen Energieverbräuchen besonders stark“, sagte auch Ökonom Jens Südekum vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie. Verbraucherschützer sprachen von einer Minimallösung. „Es rächt sich, dass die Bundesregierung die Kommission viel zu spät eingesetzt hat“, sagte Verbraucherschützerin Ramona Pop. „Das Geld sollte besser gestaffelt nach dem Einkommen ausgezahlt werden.“ 

Die über 20 Mitglieder der Kommission unter Vorsitz von Vassiliadis, Russwurm und der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm hatten 35 Stunden am Wochenende an ihrem Konzept gefeilt. Um 06.25 Uhr am Montagmorgen habe das Ergebnis vorgelegen, sagte Vassiliadis. „Wir haben gerungen, aber wir haben ein Ergebnis erreicht, das wir für belastbar halten“, so Russwurm. „Wir driften in eine Rezession.“ In drei Wochen solle der Abschlussbericht folgen – mit weiteren Vorschlägen, um Gas einzusparen und das Angebot auszuweiten. 

PREISDECKEL FÜR DIE INDUSTRIE AB JANUAR 

Für etwa 25.000 industrielle Großkunden soll der Beschaffungspreis beim Gas bereits ab Januar bei sieben Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden. Dies sei der Nettopreis, der laut Russwurm etwa den zwölf Cent brutto für Privathaushalte entspricht. Auch hier soll es einen Sparanreiz geben, indem nur für 70 Prozent des Verbrauchs der Preis gedeckelt wird. Vassiliadis zufolge kostet die Dezember-Entlastung in etwa fünf Milliarden Euro, danach profitieren Haushalte und Kleingewerbe in etwa im Volumen von 60 Milliarden, die Industrie mit etwa 25 Milliarden.

Der Chemieverband VCI begrüßte die Vorschläge und forderte eine schnelle Umsetzung. Der Handwerksverband ZDH kritisierte, bei energieintensiven Handwerksbetrieben und Mittelständlern gebe es eine Lücke. Die Vorschläge seien nicht für diese Firmen gemacht. 

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch stellte in Aussicht, dass die erforderlichen Gesetzesänderungen noch in diesem Monat auf den Weg gebracht werden könnten. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte, dass die Regierung eine Entlastung von hohen Gaspreisen schon vor dem 1. März prüfen solle. Man müsse für besonders energieintensive Firmen eventuell noch nachsteuern. 

Gaskommission für 96 Milliarden Entlastung bis Frühjahr 2024

Quelle: Reuters

Titelfoto: Symbolfoto

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