Berlin, 22. Sep – In den vergangenen Wochen hat die AfD in Umfragen bundesweit einen leisen, aber stetigen Wiederaufstieg erlebt. Mit 13 oder 14 Prozent liegt die rechte Partei bei mehreren Umfrage-Instituten mittlerweile wieder auf den Werten von 2020. Die Partei setzt darauf, dass ihr ein „heißer Herbst“ mit lauten Protesten gegen die Energie- und Russlandpolitik der Bundesregierung weiteren Auftrieb geben könnte. Fraktionschefin Alice Weidel äußerte im Bundestag bereits Verständnis für solche Demonstrationen. Quer durch die Republik ruft die AfD zu neuen Montagsdemonstrationen auf. Diese wurden bisher zwar eher spärlich besucht, aber sowohl Meinungsforscher als auch Parteienexperten halten es für möglich, dass die AfD von einer Welle der Unzufriedenheit über die Ampel-Regierung profitieren könnte.
Nach den vom Forsa-Institut am Mittwoch veröffentlichten Zahlen ist nur noch eine Minderheit mit der Arbeit der Top-Politiker der Ampel-Regierung zufrieden. Vor allem die umstrittene Gasumlage und das Aus für die drei Atomkraftwerke Ende des Jahres werden mehrheitlich kritisch gesehen. „Wenn sich herausstellt, dass Menschen mit wenig Geld oder Familien in der unteren Mittelschicht nicht signifikant entlastet werden, dann ist der Nährboden da, dass die AfD seit langem wieder einmal Sprachrohr für Protest werden kann“, sagt Julia Reuschenbach, Politologin an der FU Berlin. In Sachsen und Thüringen liegt die Rechts-Außen-Partei den Umfragen zufolge mittlerweile auf Platz eins im Parteienspektrum. Und in Niedersachsen kommt sie nach einer infratest-dimap-Umfrage für den NDR mit neun Prozent auf einen Wert, den sie dort zuletzt 2018 erreicht hatte.
Und die Sorge der Politik vor einem „heißen Herbst“ ist durchaus groß. Kanzler Olaf Scholz sieht die Sprengkraft vor allem im Osten und verweist auf Banken-Aussagen, dass 40 Prozent der Kunden keine Ersparnisse hätten – von stark steigenden Energierechnungen also stark betroffen sind. Und Millionen Haushalte bekommen erst in den kommenden Wochen die Schreckensbotschaften, wie viel sie fürs Heizen künftig zahlen sollen.
Vorbeugend mahnt Scholz, dass Unzufriedenheit etwa mit der Energie- und Ukraine-Politik deshalb nicht nur an den beiden extremen Flügeln des politischen Spektrums zu finden sei, sondern auch unter den Anhängern der Mitte-Parteien. Schon deshalb müsse man die Ängste ernst nehmen. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion debattierte man am Dienstag eine geschlagene Stunde über die neue Bedrohung vom rechten Rand. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Thorsten Frei, warnte, dass sich von Berlin weitgehend unbemerkt eine große neue Flüchtlingswelle aufbaut.
Trotz der Abgrenzungsvorgaben etwa der CDU gegenüber der AfD scheinen nun die Fronten bei den Wähler etwas einzureißen. Insa-Chef Hermann Binkert verweist auf die sogenannte Potenzialanalyse, nach der sich mehr Menschen als noch vor kurzem vorstellen können, die AfD zu wählen. Vor allem aber hätten früher 75 Prozent der Befragten angegeben, die AfD auf keinen Fall zu wählen – „Jetzt sind es nur noch 61 Prozent“, sagt Binkert.
SCHWÄCHE DER LINKEN UND DER FDP HILFT AFD
Allerdings müsse man die Entwicklung einordnen, bremst er: „In Thüringen sind vor allem die Linken abgesackt, aber nicht die AfD nach oben geschnellt.“ Auch FU-Expertin Reuschenbach verweist auf die Schwäche der Linken als einen Grund, warum der rechte Rand derzeit etwas mehr Zulauf hat. „Die Linke schafft es wegen der permanenten Selbstbeschäftigung und innerparteilicher Querelen nicht, eine sozialpolitische Alternative zur Regierung zu entwickeln“, sagt sie. Die Demoskopen sehen zudem einen Wechsel unzufriedener FDP-Wähler zur AfD.
Forsa-Chef Manfred Güllner verweist zudem auf die Kluft zwischen Umfragen und Realität. So hätten die Ergebnisse der Landratswahlen in Sachsen, aber auch die OB-Wahl im brandenburgischen Cottbus gerade gezeigt, „dass die Bäume für die AfD nicht einmal im Osten in den Himmel wachsen“. In Cottbus kam der AfD-Kandidat zwar an zweiter Stelle, dürfte aber in der Stichwahl dem SPD-Konkurrenten deutlich unterliegen. Und selbst in Sachsen, wo die AfD landesweit stärkste Partei ist, konnte sie bei den Landratswahlen eben nicht punkten.
Die große Unbekannte könnten bei den nächsten Wahlen wie in Niedersachsen am 9. Oktober erneut die Nichtwähler werden. Forsa-Chef Güllner erwartet wie schon in Nordrhein-Westfalen eine größere Enthaltung bei der Landtagswahl. An den Wahlständen werde kaum über Landespolitik geredet, meint die Grünen-Spitzenkandidatin Julia Hamburg. „Eine Folge könnte sein, dass die Wahlbeteiligung niedrig ausfällt, weil viele Wählerinnen und Wähler gerade die Sinnhaftigkeit einer Landtagswahl nicht sehen“, sagte sie. Ob dies allerdings der AfD schadet oder den Ampel-Parteien, ist offen. Güllner verweist allerdings darauf, dass gerade die AfD immer wieder Menschen aus dem Nichtwähler-Lager für sich gewinnen konnte.
Wiederaufstieg durch Protestwelle? – AfD legt in Umfragen zu
Quelle: Reuters
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