Berlin, 24. Aug – Die Inflation wird nach Einschätzung von Top-Ökonom Marcel Fratzscher für längere Zeit hoch bleiben. „Wir müssen uns in den nächsten fünf Jahren auf Inflationsraten von drei bis vier Prozent einstellen“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. Es gebe zahlreiche Preistreiber wie teurere Rohstoffe, demografische Effekte sowie Lieferkettenprobleme. Drei bis vier Prozent Inflation müssten wirtschaftlich kein Problem sein. „Damit kann eine Wirtschaft leben, aber es ist sehr wohl ein riesiges Problem für die Zentralbanken.“
Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt eigentlich eine Inflation von zwei Prozent als Idealwert für die Wirtschaft an. Die Teuerung war in der Euro-Zone allerdings zuletzt von Rekord zu Rekord geeilt. Angeheizt durch hohe Energie- und Lebensmittelpreise infolge des Krieges in der Ukraine lag die Inflationsrate im Juli bei 8,9 Prozent. In Deutschland kosteten Waren und Dienstleistungen im Juli durchschnittlich 7,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
„Für Notenbanken wird das ein schwieriger Spagat“, sagte Fratzscher. Die hohen Raten kratzten an der Glaubwürdigkeit, ihre Ziele erreichen zu können. „Die EZB ist gefangen zwischen zwei Risiken – die Kontrolle über die Inflationserwartungen zu verlieren und einer noch stärkeren Abschwächung der Wirtschaft.“ Andere Notenbanken wie die Fed in den Vereinigten Staaten seien in einer ganz anderen Situation. „Im Euro-Raum sind 70 Prozent der Inflation importiert, in den USA dagegen 70 Prozent hausgemacht durch starken Konsum und viele Investitionen.“ Gegen eine importierte Inflation könne die EZB aber wenig ausrichten. „Sie muss aber ihre Glaubwürdigkeit schützen und das Vertrauen in ihr Inflationsziel verankern.“
Deswegen rechnet der Experte mit einer weiteren EZB-Zinserhöhung im September um 0,5 Prozentpunkte. Bis zum Ende des Jahres dürfte es dann nochmal um 0,5 Punkte nach oben gehen. Damit läge der Leitzins dann bei 1,5 Prozent. Andere Notenbanken haben die Zinsen früher und zum Teil auch deutlicher angehoben.
FRATZSCHER: EURO-SCHWÄCHE KEIN GRUND ZUR SORGE
Der Euro hat sich in dieser Woche unter der psychologisch wichtigen Marke von einem Euro zum Dollar festgesetzt, der sogenannten Parität. Fratzscher verteidigte den Euro aber, wollte nicht von einer Weichwährung sprechen. Er sei stabil und eine erfolgreiche Währung. „Wir haben es zurzeit eher mit einer Dollar-Stärke als mit einer Euro-Schwäche zu tun.“ Die US-Wirtschaft habe sich in den vergangenen Jahren sehr gut geschlagen. „Europa ist zudem jetzt stärker vom Krieg in der Ukraine betroffen und auch stärker abhängig von russischen Energielieferungen.“ Eine weitere deutliche Abwertung des Euro sei nicht unbedingt zu erwarten. Die Euro-Schwäche mache Exporte nach Übersee auch attraktiver, was gerade deutschen Firmen helfen werde.
Handlungsbedarf sieht Fratzscher in diesem Bereich nicht. „Der Euro-Kurs ist im Rahmen der normalen Schwankungen. Es wäre falsch, ein konkretes Wechselkursziel festzulegen, da Zentralbanken ihre Währungen in großen und liquiden Märkten nicht manipulieren können.“
DIW-Chef – Müssen uns auf Jahre an Inflation von 3 bis 4 Prozent gewöhnen
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
Tipp: Dividenden ausländischer Aktien werden doppelt besteuert,
dieses Finanztool erledigt Deine Rückerstattung.