Berlin/Frankfurt, 18. Aug (Reuters) – Bei seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft am Freitag muss Bundeskanzler Olaf Scholz erneut Auskunft über seine Rolle als Hamburgs Erster Bürgermeister in der sogenannten Cum-Ex-Affäre geben. Im Zentrum des Untersuchungsausschusses steht die Frage, ob die Politik 2016 und 2017 Einfluss auf die Entscheidung von Finanzbeamten genommen hat, eine millionenschwere Steuerschuld der Warburg Bank nicht einzutreiben. Die Opposition in der Hansestadt sieht Chancen, Scholz Verfehlungen nachweisen zu können. Der Kanzler selbst betont dagegen, dass sich in den zweieinhalb Jahren Arbeit des Untersuchungsausschusses keine Beweise für eine Einflussnahme der Politik gefunden hätten.
In der Cum-Ex-Affäre geht es um ein Betrugssystem, bei dem Beteiligte sich nicht gezahlte Kapitalertragsteuern vom Staat erstatten ließen. Der Schaden für die Steuerzahler geht in die Milliarden. Der Vorstand der NGO Finanzwende, Gerhard Schick, schätzt ihn auf mehr zehn Milliarden Euro. Politisch brisant ist das Thema nicht nur wegen der Frage, was einen Betrug von dieser Dimension ermöglichte – sondern auch, warum etwa die Warburg Bank in Hamburg 47 Millionen Euro Steuerschuld nicht begleichen musste.
Hier sind Scholz als damaliger Erster Bürgermeister Hamburgs und sein Nachfolger Peter Tschentscher als damaliger Finanzsenator mit ins Visier der Ermittler und der Opposition geraten. Konkret geht es darum, ob die Finanzbeamten Anweisungen erhalten hatten, Warburg großzügig zu behandeln. Im Zentrum stehen dabei Gespräche von Scholz mit Warburg-Miteigentümer Christian Olearius. Der damalige Bürgermeister kann sich nach eigenen Aussagen an den Inhalt der Gespräche nicht erinnern – seine Kritiker sagen, er wolle sich nicht erinnern.
Die SPD-Fraktion in Hamburg hat ihr Urteil bereits gefällt: „Der Untersuchungsausschuss hat gezeigt, dass es keine politische Einflussnahme auf die Entscheidung der Steuerverwaltung, die Steuern im Jahr 2016 zunächst nicht zurückzufordern, gegeben hat“, heißt es dort auf Anfrage. Der frühere Grünen-Politiker Schick sieht dies ganz anders: „Olaf Scholz versucht sich weiter durch die Cum-Ex-Affäre zu winden. Doch seine Erinnerungslücken bleiben unglaubhaft.“ Es gebe Belege, dass es politische Einflussnahme gab. Im Fall des damaligen Finanzsenators Tschentschner fordert er den Rücktritt, weil er bei ihm eine politische Einflussnahme für erwiesen hält.
„Die Frage, warum in Hamburg Cum-Ex-Forderungen gegen das Bankhaus Warburg nicht durchgesetzt wurden, während die Behörden überall sonst Cum-Ex-Fälle verfolgten und auch die Betriebsprüfer die Steuern von Warburg zunächst zurückverlangen wollten, ist weiterhin völlig ungeklärt“, sagte auch Hamburgs CDU-Bürgerschaftsvertreter Götz Wiese zu Reuters.
ERMITTLUNGEN UND 200.000 EURO
An Fahrt hat die Debatte wieder aufgenommen, nachdem Medien berichteten, dass die Staatsanwaltschaft in Köln 2021 bei den Cum-Ex-Ermittlungen gegen den Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs ein Schließfach mit 200.000 Euro entdeckt hatte. Zudem wurde die Einschätzung der Staatsanwaltschaft Köln bekannt, dass ein Teil der Cum-Ex betreffenden Emails der Hamburger Regierung gelöscht worden sein könnte. Der „Stern“ berichtet, dass Emails von Scholz jetziger Büroleiterin Jeannette Schwamberger durchsucht würden, die ebenfalls eine Löschung nahelegten.
Scholz hatte schon bei seinem ersten Auftritt im Untersuchungsausschuss in Hamburg im April 2021 Vorwürfe abgestritten und darauf beharrt, er könne sich nicht an Gesprächsinhalte der Treffen mit Olearius erinnern. Kurz danach verzichtete die Finanzbehörde auf die Rückzahlung der 47 Millionen Euro. Jetzt gibt er sich gelassen: „Es ist immer das Ergebnis: Es hat keine Beeinflussung durch die Politik gegeben“, sagte der SPD-Politiker vergangene Woche a. „Ich bin sicher, dass diese Erkenntnis nicht mehr verändert werden wird, nach zweieinhalb Jahren ist das ganz klar.“ Er habe sich nichts vorzuwerfen. Er wisse nichts über die 200.000 Euro von Kahrs. Bei diesen ist ungeklärt, ob es überhaupt einen Zusammenhang zu Cum-Ex-Geschäften gibt.
Dem Kanzler ist bisher kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten nachgewiesen worden. Man ermittle nicht gegen Scholz und Tschentscher, weil dafür der Anfangsverdacht fehle, teilte die Staatsanwaltschaft in Hamburg am Mittwoch auf Anfrage mit. Nur: Anders als in Strafverfahren gibt es in der Politik so etwas wie eine Beweislastumkehr. Statt Scholz Fehler nachzuweisen, geht es im Ausschuss eher um Forderungen, dass Scholz seine Unschuld gegenüber einem Verdacht belegen müsse. „Der Verdacht politischer Einflussnahme muss ausgeräumt werden“, fordert etwa der Hamburger CDU-Politiker Wiese. „Scholz muss jetzt alle Fakten auf den Tisch legen.“
Im Bundestagswahlkampf zog das Thema nicht, Scholz wurde Kanzler – auch weil nach Einschätzung aus Parteikreisen die Cum-Ex-Steuerstrategie zu kompliziert ist. Am Ende, das wird in der Union betont, gehe es mehr um die Reputation von Scholz – und wie viele Kratzer sein Ansehen davontragen wird. „Nach der Anhörung ist vor der Anhörung. Es ist sicher nicht das letzte Mal, dass Scholz vor dem Ausschuss auftritt“, ist sich Finanzwende-Vorstand Schick sicher.
Bei Cum-Ex-Affäre geht es um die Glaubwürdigkeit von Scholz
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