Kiew/Lwiw/Berlin/London, 07. Mrz (Reuters) – Ungeachtet weiterer russischer Angriffe in der Ukraine laufen die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges auf Hochtouren. Die Außenminister Russlands und der Ukraine wollen am Donnerstag im türkischen Antalya erstmals seit Wochen wieder zusammentreffen, teilte die türkische Regierung am Montag mit. Zudem forderte Indien von Russlands Präsidenten Wladimir Putin direkte Gespräche mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj. Auf unterer Ebene waren zum Wochenauftakt im belarussischen Brest erneut russisch-ukrainische Verhandlungen geplant, auch zum Thema Fluchtkorridore für Zivilisten.
Das russische Verteidigungsministerium hatte für Montagmorgen eine Feuerpause angekündigt, für deren Einhaltung es aber keine Belege gab. Neben der Hauptstadt Kiew seien derartige Passagen für den Abzug von Zivilisten auch für Charkiw, Mariupol und Sumy geplant, hatte das Ministerium mitgeteilt. Später warf es der Ukraine vor, die Bedingungen nicht erfüllt zu haben. Die russische Nachrichtenagentur RIA berichtete, der Fluchtweg für die Kiewer Bevölkerung solle nach Belarus führe, der aus nach Russland.
Die Korridore für Mariupol und Sumy sollten in andere ukrainische Regionen und nach Russland führen. Die überwältigende Mehrheit der bislang rund 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht flieht aber vor den russischen Truppen Richtung westlicher Länder und Belarus steht an der Seite Russlands. In Deutschland wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums bisher 50.294 Flüchtlinge registriert.
Am Wochenende war zweimal die Schaffung eines humanitären Korridors für rund 200.000 Menschen aus dem umzingelten Mariupol gescheitert. Russland und die Ukraine gaben sich dafür gegenseitig die Schuld. In der Ukraine und im Westen wird befürchtet, dass die Angriffe mit Raketen und Granaten auf die Städte zunehmen werden. Russland bezeichnet sein Vorgehen als „Spezialoperation“.
Ziel sei nicht die Besetzung der Ukraine, sondern die Zerstörung der militärischen Kapazitäten des Landes und die Festnahme als gefährlicher Nationalisten. Westliche Regierungen und die Ukraine sprechen indes von einem Angriffskrieg und verweisen unter anderem auf Fotos und Filme mit zahllosen zivilen Opfern bei der russischen Invasion. Nach UN-Angaben sind bislang mindestens 350 Zivilisten bei den Kämpfen gestorben, Hunderte wurden verletzt.
Die Ukraine meldete, bislang seien rund 11.000 russische Soldaten getötet sowie 88 russische Flugzeuge und Hubschrauber abgeschossen worden. Über eigene Verluste wurden keine Angaben gemacht. Reuters kann Angaben Russlands und der Ukraine nicht unabhängig überprüfen.
KIEW, MARIUPOL UND ODESSA
Die ukrainischen Behörden meldeten die Rückeroberung der Stadt Chuhuiv im Nordosten des Landes. Die russische Armee versuche unterdessen, weiter auf Kiew vorzurücken und die Hauptstadt einzukreisen. Britischen Geheimdienstkreisen zufolge griff Russland ähnlich wie im Tschetschenien-Krieg oder in Syrien dicht besiedelte Gebiete an. Der ukrainische Widerstand verzögere jedoch den Vormarsch der russischen Truppen weiter. Pro-russische Separatisten begannen nach Angaben der Regierung in Moskau eine Offensive in der südostukrainischen Hafenstadt Mariupol. Selenskyj hatte vor bevorstehenden Raketenangriffe auf die Hafenstadt Odessa gewarnt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, man werde Schlupflöcher stopfen werde, mit denen die bisherigen drei europäischen Sanktionspakete umgangen werden könnten. In Berlin sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit, die volle Wirkung der Sanktionen sei noch nicht eingetreten. Gleichwohl sei man zu weiteren Schritten bereit sei. Der ukrainische Präsident Selenskyj rief erneut zum Boykott von russischem Öl sowie aller Im- und Exporte Russlands auf. Die USA und die EU lehnen dies mit Blick auf eine befürchtete nochmalige Steigerung der Energiepreise bislang ab.
Beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine bröckelte die bisher einheitliche Front der EU-Staaten etwas: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban erklärte, per Dekret würden Waffenexporte von Ungarn aus in die Ukraine verboten. Er setzt sich damit von mehreren EU-Ländern wie Deutschland ab, die mit Rüstungsgütern die ukrainische Armee unterstützen. Hebestreit verwies darauf, dass Deutschland dabei auf defensive Waffen setze. Am Wochenende war debattiert worden, dass Polen der Ukraine auch 28 modernisierte MIG-29-Kampfjets liefern könnte.
Kämpfe in der Ukraine gehen weiter – Hochrangige Verhandlungen geplant
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.