24. Jan (Reuters) – Zur Eindämmung von Inflation empfehlen Ökonomen in Lehrbüchern die Anhebung von Leitzinsen, obwohl damit ein Wirtschaftsaufschwung gedämpft wird. Viele Regierungen suchen nach Wegen, die galoppierende Geldentwertung mit anderen Mitteln zu bekämpfen. Oft kommen Obergrenzen für Löhne und Produkte, feste Devisenwechselkurse und Kapitalverkehrskontrollen zum Einsatz – doch meist ohne Erfolg, wie die folgenden Beispiele zeigen. „Die Geschichte lehrt uns, dass es nie funktioniert“, sagt Chefökonom Gilles Moec vom Vermögensverwalter Axa. „Aber das hält die Leute nicht davon ab, es zu versuchen.“
TÜRKEI
Die Türkei hat jahrelang die Zinsen gesenkt, um sie dann wieder anzuheben, sobald die landeseigene Währung Lira zusammenbrach. Die Folge war eine steigende Inflation, zuletzt auf mehr als 20 Prozent. Die türkische Notenbank hat mit Maßnahmen wie Devisenbeschränkungen experimentiert, aber dieses Mal geht Präsident Tayyip Erdogan aufs Ganze: Er will Anleger aus der Staatskasse entschädigen, wenn ihre Währungsverluste mit der Lira die Zinsen auf ihren Bankkonten übersteigen. Das könnte sich als kostspielig erweisen und einen der Hauptanziehungspunkte für ausländische Investoren gefährden – die vergleichsweise niedrige Staatsverschuldung der Türkei. „So etwas, was die Türken versuchen, habe ich ehrlich gesagt noch nie zuvor gesehen“, sagt Axa-Chefökonom Gilles Moec.
ARGENTINIEN
Das südamerikanische Land leidet seit Jahrzehnten unter mangelndem Vertrauen in die wirtschaftlichen Institutionen – und in die Währung Peso. Um die galoppierende Inflation einzudämmen, führten die Regierungen Preisgrenzen für Löhne und Produkte sowie Kapitalverkehrskontrollen ein. Viele Argentinier wickeln ihre Geschäfte unter der Hand in Dollar ab, aber der begrenzte Zugang zur US-Währung hat zu einer großen Kluft zwischen dem offiziellen Wechselkurs und den Kursen am Schwarzmarkt geführt.
Die Zentralbank hat kürzlich die Zinssätze auf 40 Prozent von 38 Prozent erhöht. Der reale Zinssatz, der die Inflation berücksichtigt, ist jedoch weiterhin im negativen Terrain. Der argentinische Wirtschaftsexperte der US-Bank Goldman Sachs, Alberto Ramos, hat errechnet, dass die Gesamtinflation seit Juli 2018 im Durchschnitt 47,2 Prozent beträgt. Dies zeuge von einer „erheblichen Dysfunktion der Makropolitik und dem Versagen der Währungsbehörde bei der Sicherstellung der monetären Kontrolle“.
VENEZUELA
Linksgerichtete Regierungen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten alles versucht, um der steigenden Inflation Herr zu werden. 2007 setzte der Staat Preise fest, später folgte eine Art Billigdollar – eine Entscheidung, die aufgrund der riesigen Nachfrage schnell wieder rückgängig gemacht wurde. 2017 geriet der Staat in Zahlungsverzug und das Gelddrucken zur Deckung des Haushaltsdefizits führte zu einer Hyperinflation, die 2018 65.000 Prozent erreichte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht die Inflation in diesem Jahr bei 2000 Prozent.
Ministerpräsident Nicholas Maduro lockerte 2019 einige Preiskontrollen und hob ein Verbot von Devisentransaktionen auf. Die offiziellen und inoffiziellen Wechselkurse wurden angeglichen, der Bolivar stürzte dennoch um 8000 Prozent ab. Die Schuldenquote Venezuelas stieg auf 500 Prozent. Insider sagten zu Reuters, die Regierung bezahle Dienstleister mittlerweile in Dollar. Die Interamerikanische Entwicklungsbank warnt davor, dass eine solche „Dollarisierung“ den Menschen, die keine Dollar bekommen können, den Zugang zu grundlegenden Waren und Gütern, einschließlich Lebensmitteln, erschwert.
BRASILIEN
Als Brasilien in den 1990er Jahren zur Demokratie zurückkehrte, gab es dort eine Hyperinflation. Unter dem damaligen Präsidenten Fernando Collor de Mello wurden Preise, Löhne und 80 Prozent des Privatvermögens eingefroren und Finanztransaktionen stark besteuert. Die Inflation erreichte 1990 einen Höchststand von fast 3000 Prozent. Mitte der 1990er Jahre wurde die neue Währung Real eingeführt, die Leitzinsen erhöht und die Staatsausgaben gekürzt. Seit 1997 liegt die Inflation mit einer Ausnahme jedes Jahr im einstelligen Bereich.
POLEN
Im Kampf gegen die Inflation will Polen ab Februar die Mehrwertsteuer auf einige Lebensmittel komplett streichen. Zudem soll die Steuer auf Kraftstoffe und Düngemittel gesenkt werden. Die Inflation könnte in diesem Jahr erstmals seit Anfang des Jahrtausends zweistellig ausfallen. Zuletzt lag sie bei knapp acht Prozent. Volkswirte der Bank JP Morgan rechnen damit, dass die Maßnahmen die Quote bis zur Jahresmitte um drei Prozentpunkte senken können.
KONGO UND SIMBABWE
Die Preise in der Demokratischen Republik Kongo stiegen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre um insgesamt 6,3 Milliarden Prozent, da die Haushaltsdefizite durch zügelloses Gelddrucken finanziert wurden. Durch geld- und fiskalpolitische Zurückhaltung und ein frei schwankendes Wechselkurssystem konnte die Hyperinflation 2001 unter Kontrolle gebracht werden.
Simbabwe druckte so viel Geld – darunter eine Banknote im Wert von 100 Billionen Simbabwe-Dollar -, dass die Inflationsrate 2008 sagenhafte 500 Milliarden Prozent erreichte und die Währung wertlos wurde. Ende 2008 nutzten die Simbabwer US-Dollar zum Bezahlen. 2009 wurde ein Mehrwährungssystem eingeführt, das auch den südafrikanischen Rand beinhaltete. Zehn Jahre später gab es einen neuen Simbabwe-Dollar. Als die Corona-Krise 2020 ausbrach, stieg die Inflation wieder auf 350 Prozent an und die Regierung kehrte zum Mehrwährungssystem zurück.
MEXIKO
Sinkende Ölpreise und Zinserhöhungen in den USA brachten Mexikos Wirtschaftsboom 1980-81 zum Stillstand und setzten die Dollarbindung des Peso unter Druck. Die Folge waren 1982 eine Kapitalflucht und schwindende Devisenreserven. Bankguthaben in US-Dollar wurden in Pesos umgetauscht und ein Schuldenmoratorium wurde verhängt. Zum Jahresende wurde damals der gesamte Handel reguliert, vollständige Kapitalkontrollen wurden eingeführt und die Banken verstaatlicht.
Die jährliche Inflation erreichte in den Jahren 1982-83 nahezu 100 Prozent, während die Wirtschaftsleistung einbrach. Bis 1987 stieg die Inflationsrate auf 150 Prozent. 1994 wurde der Peso freigegeben, wodurch die Währung an Wert verlor. Der Bankensektor in Mexiko brach zusammen und das Land benötigte internationale Hilfsgelder in Höhe von 50 Milliarden Dollar, um einen Zahlungsausfall zu vermeiden. Es folgten eine schwere Rezession und eine weitere Hyperinflation.
Wie man die Inflation besser nicht bekämpfen sollte
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