Berlin, 17. Jun (Reuters) – Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verkündete Kanzler Olaf Scholz eine „Zeitenwende“. Diese betraf nicht nur Ausgaben für die Bundeswehr und Waffenexporte in die Ukraine, sondern auch die Energiepolitik. Denn im Eiltempo will sich Deutschland unabhängig von russischen Lieferungen an Kohle, Öl und Gas machen. Doch dafür muss Deutschland alternative Lieferanten suchen. Gespräche mit Regierungs- und Firmenvertretern zeigen aber nach wenigen Monaten schon drei eklatante Nachteile im weltweiten Rennen um Flüssiggas.
ENTDECKUNG DER SCHNELLIGKEIT – ANDERER
Auch wenn Kanzler Scholz in Afrika und Wirtschaftsminister Robert Habeck am Golf mögliche Lieferanten besuchten – die Bundesregierung ist weit davon entfernt, alle potenziellen LNG-Produzenten abgeklopft zu haben. Zwar äußern sich etliche Regierungen wie die von Katar, Senegal oder Angola freundlich interessiert. Aber es zeichnet sich ab, dass andere viel schneller sind. So hat der italienische Energiekonzern ENI bereits mit etlichen afrikanischen Ländern Lieferverträge abgeschlossen. Die deutschen Neulinge auf dem LNG-Markt entdecken, dass sich die Konkurrenz auch bei neuen Lieferanten bereits eingedeckt hat. Scholz erfuhr dies im Senegal, das 2023 erstmals LNG-Gas exportieren will: Die entsprechenden Lieferverträge für die kommenden Jahre hatten asiatische Interessenten schon vor Jahre geschlossen.
LANGFRISTVERTRÄGE BEVORZUGT
In Deutschland galt lange der falsche Eindruck, dass man für Pipeline-Gas langfristige, günstige Verträge abschließen kann, beim LNG-Gas aber dem Spotmarkt und den dort geltenden höheren Preisen ausgeliefert ist. Nur wurde dabei übersehen, dass zahlreiche LNG-Produzenten durchaus Interesse an Langfristverträgen haben. So hat Russland etwa mit Japan mehr als 20 Jahre laufenden Verträge für LNG-Gas ausgehandelt, die dem Industrieland günstige Tarife bescherten. Chinas Energiekonzerne CNPC und Sinopec sind Insidern zufolge mit Katar gerade in fortgeschrittenen Gesprächen über Flüssiggasgeschäfte. In den Verhandlungen mit dem Staatskonzern QatarEnergy soll es um LNG-Lieferverträge mit einer Laufzeit von bis zu 27 Jahren gehen und um Investitionen in den milliardenschweren Ausbau des LNG-Projekts North Field East.
Aber die Akteure in Deutschland scheuen solche langfristigen Verträge auch mit Blick auf die ehrgeizigen Klimaschutz-Ziele der Regierung. Sowohl Scholz als auch Habeck betonen immer wieder, dass Gas nur noch einige Jahre gebraucht werde, bis man in die Wasserstoff-Technologie einsteigen könne – damit bindet man nicht unbedingt neue Lieferanten an sich. Die Folge: Deutsche Interessenten können nicht das bieten, was andere offerieren. Auch bei den deutschen Gesprächen mit Katar sind die Langfristverträge ein Problem.
FEHLENDE INVESTITIONEN
Senegals Präsident Macky Sall sagte es ganz klar: Wer Flüssiggas aus dem westafrikanischen Land möchte, der muss auch investieren. Angolas Gas- und Ölminister Diamantino Pedro de Azevedo äußerte sich ähnlich. Aus Sicht gerade ärmerer Länder ist dies verständlich, weil ihr natürlicher Ressourcen-Reichtum erst einmal erschlossen werden muss. Das Problem: Deutschland verfügt nicht über Energie-Multis, die groß ins Explorationsgeschäft einsteigen könnten. Und die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP hat gerade mit sich gerungen, ob sie Investitionen in neue Gas- und Ölfelder angesichts des Kampfes gegen den Klimawandel überhaupt noch will. Immerhin hat Kanzler Olaf Scholz dies im Senegal jetzt grundsätzlich befürwortet. Aber von diesem Statement bis zur Entscheidung, für ein neues Gasfeld Geld auszugeben, ist es ein weiter Weg.
Warum Deutschland bei der Suche nach LNG-Gas stolpert
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