Berlin, 20. Jan – Wenn am Sonntag die Spitzen der Bundesregierung und des Bundestages Richtung Paris aufbrechen, könnte dies auch als Zeichen einer kleinen Wiedergutmachung angesehen werden. Denn der deutsch-französische Ministerrat hätte eigentlich schon im Herbst stattfinden sollen – was aber mit der Urlaubsplanung einiger deutscher Ampel-Kabinettsmitglieder kollidierte und angesichts deutlicher inhaltlicher Differenzen zu einer Verlegung führte. Nun wird er zum 60. Jahrestag des Elysee-Vertrages, der Grundlage der deutsch-französischen Nachkriegsfreundschaft, mit sehr viel Symbolik nachgeholt.
Das Problem: Der Großauftritt der deutschen und französischen Kabinette darf sich nicht in Symbolik und schönen Bilder erschöpfen. Denn die Erwartung ist groß, dass Berlin und Paris Vorschläge für die aktuellen Krisen vorlegen, wird in Regierungskreisen eingeräumt. Das reiche von der Ukraine bis zu Finanzfragen in der EU. Aber bei den Antworten weichen die Ideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz deutlich voneinander ab. „Das ist nichts Neues. Der Wert der bilateralen Verständigung liegt darin, dass wir diese Differenzen immer wieder überwinden“, wird in Berlin abgewiegelt. Aber die Dissonanzen zwischen beiden Regierungen liegen eben auch daran, dass man zwar viele Analysen teilt – aber nicht unbedingt dieselben Antworten für richtig hält.
Macron will auf die US-Subventionen für Klimaschutz mit Härte antworten und liebäugelt mit einem „Buy Europe“-Programm. Scholz betont dagegen immer wieder, dass man die Differenzen mit Washington durch Gespräche löst und plädiert für mehr Freihandelsverträge. In der Tradition französischer Regierungen befürwortet Macron gemeinsame europäische Schuldenaufnahmen, nun für Zukunftsinvestitionen. Der SPD-Politiker Scholz dagegen pocht in deutscher Tradition darauf, dass man doch erst einmal den Recovery Funds nutzen sollte, weil von den 700 Milliarden Euro erst 20 Prozent ausgegeben wurden.
„Herausforderungen im Umgang mit China, die Folgen des Klimawandels, das US-amerikanische Vorgehen bei Subventionen sowie energiepolitische Abhängigkeiten lassen sich aber nur gemeinsam bewältigen“, sagt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid zu Reuters. „Vom Ministerratstreffen erwarte ich, dass die Regierungen ihrem gemeinsamen Gestaltungswillen durch ganz konkrete Projekte mehr Schub verleihen.“ Am Sonntag sollen die Treffen in Paris in großer und mehreren kleinen Runden unter anderem zur Industriepolitik und zu Sicherheitsfragen sollen Fortschritte bringen.
Die gemeinsame Erklärung, die dann am Sonntagabend veröffentlicht werden sollen, wird auch von den EU-Partnern mit großer Aufmerksamkeit erwartet. „Denn es ist wie immer: Wenn Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Position haben, haben sie große Chance, diese in der EU auch durchzusetzen“, sagt ein führender EU-Diplomat in Berlin. „Wenn sie sich streiten, wird in der EU-27 nach alternativen Modellen gesucht.“
Und sowohl Deutschland als auch Frankreich ringen damit, dass der Blick im Osten auf die EU ein anderer ist. Polens nationalkonservativer Regierungschef Mateusz Morawiecki warnte jüngst in Berlin, dass man sich im Westen Illusionen über Russland mache – und dass eine versuchte Führung von zwei Staaten in der EU ohnehin kein Erfolgsmodell sei.
Vorschau: 60 Jahre Elysee-Vertrag – Berlin und Paris suchen neue Nähe
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Frank R auf Pixabay
Hier findet ihr die aktuellen Livestream-Folgen. Mehr aus Web3, NFT und Metaverse.