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Verfassungsbeschwerden gegen Corona-Wiederaufbaufonds der EU erfolglos

UPDATE:

Karlsruhe/Berlin, 06. Dez – Die gemeinsamen Schulden in der EU für den Corona-Wiederaufbaufonds verstoßen nicht gegen das Grundgesetz. Das urteilte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag, nachdem es vorläufig schon grünes Licht gegeben hatte für den 750 Milliarden Euro schweren Finanztopf. Das Gericht betonte allerdings den Ausnahmecharakter. Die Bundesregierung sah sich durch das Urteil bestätigt. „Es ist keine Blaupause für zukünftige Programme“, sagte Staatssekretär Florian Toncar, der das Bundesfinanzministerium in Karlsruhe vertrat. Die Kläger, darunter der frühere AfD-Politiker Bernd Lucke, zeigten sich enttäuscht. 

Mit dem Wiederaufbaufonds sollte die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise gesichert werden, die 2020 zu einem Einbruch der Konjunktur geführt hatte. Seitdem hat sich die Wirtschaft auch erholt, aber deutlich weniger als ursprünglich gedacht, weil inzwischen die Energiekrise als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine zahlreiche Unternehmen belastet. Toncar sagte, die Regierung werde das Urteil im Detail auswerten, was etwas Zeit brauche. Der aufgesetzte Corona-Fonds sei in der Pandemie aber richtig und zulässig gewesen. Die Mittel müssten nun sinnvoll eingesetzt werden. „Es ist kein Alltagsinstrument.“ Es handele sich vielmehr um eine einmalige Aktion, so der parlamentarische Staatssekretär. In der Europäischen Union gibt es teilweise bereits Forderungen, die Mittel zur Bekämpfung der Energiekrise einzusetzen beziehungsweise einen neuen Topf mit gemeinsamen Schulden einzurichten. Letzteres lehnt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aber vehement ab. 

Die Richter wiesen mit dem Urteil zwei Verfassungsbeschwerden zurück. Die Entscheidung erging mit sechs zu eins Stimmen. Verfassungsrichter Peter Müller gab ein Sondervotum ab. (AZ: 2 BvR 547/21 und 2 BvR 798/21)

Lucke sagte, positiv sei zumindest, dass das Gericht den strengen Ausnahmecharakter betont habe. Es sei jetzt auch festgestellt, dass es keine allgemeine Verschuldenskompetenz der EU gebe. „Diese Entscheidung aus Karlsruhe stärkt diejenigen, die in Zukunft vermehrt europäische Aufgaben über Schulden finanzieren wollen“, kommentierte Friedrich Heinemann vom Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW. „Mit diesem Rückenwind aus Karlsruhe wird der Druck aus Brüssel auf die Bundesregierung nun wachsen, den Weg für die Schuldenfinanzierung neuer EU-Programme frei zu machen.“ 

GRÜNE FORDERN WEITERE EU-TÖPFE FÜR NEUE KRISEN 

Dies forderten umgehend die Grünen: „Wichtig ist, dass Europa jetzt nicht beim Status Quo verharrt, sondern aus der Corona-Pandemie lernt und auch in anderen Krisen mit einer gemeinsamen Finanzpolitik handelt und in die Zukunft investiert“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Sven-Christian Kindler. „Die Klimakrise verschärft sich immer weiter und die Folgen des russischen Angriffskrieges sind enorm für die europäischen Volkswirtschaften. Auch der globale Wettbewerb mit China und USA, die massiv mit Krediten ihre Volkswirtschaften umbauen, zwingt die EU zu deutlich mehr Investitionen.“ Eigentlich sind die Gelder aus dem Corona-Topf vor allem für eine stärkere Digitalisierung und mehr Umweltschutz vorgesehen. 

Mit dem sogenannten Eigenmittelbeschluss wurde die EU-Kommission ermächtigt, bis zu 750 Milliarden Euro an Schulden an den Kapitalmärkten aufzunehmen. Im März 2021 stimmten CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP zu. Die Ausschüttung begann im Juni 2021. Das Geld wird nach Quoten an die Mitgliedsstaaten verteilt. 360 Milliarden Euro werden als Darlehen ausgegeben, rückzahlbar bis 2058. 390 Milliarden sind Zuschüsse, die die Mitgliedsstaaten nicht zurückzahlen müssen. 

„In seiner Begründung schließt die Mehrheit des Zweiten Senats aus, dass es auf Dauer zur deutschen Haftung für ausfallende Beitragszahlungen anderer Mitgliedsstaaten kommen könnte“, sagte ZEW-Ökonom Heinemann. Diese Sichtweise fuße auf der optimistischen Annahme, dass es in der EU bis zur finalen Tilgung des Fonds im Jahr 2058 zu keinen Insolvenzen von Staaten kommen werde. „Zahlreiche Analysen belegen aber, dass etliche EU-Staaten mittelfristig ein gravierendes Schuldentragfähigkeitsproblem haben.“ 

Die Kläger sehen in der Schuldenaufnahme eine Kompetenzüberschreitung der EU. Dazu betonte das Gericht, zwar sei die EU nach den Verträgen nicht ausdrücklich ermächtigt, Kredite an den Kapitalmärkten aufzunehmen. Ein absolutes Verbot gebe es jedoch auch nicht. Vielmehr komme eine Kreditaufnahme unter bestimmten Voraussetzungen „ausnahmsweise in Betracht“. Die Mittel müssten ausschließlich zweckgebunden eingesetzt werden, die Kreditaufnahme zeitlich befristet und in der Höhe begrenzt sein. Weiter dürften die Kredite die eigenen Haushaltsmittel der EU nicht überschreiten. „Dies ist hier der Fall“, so das Urteil.

Dennoch formulierten die Richter auch Zweifel, dass die Kredite alle im Zusammenhang mit der Pandemie eingesetzt werden. Denn mindestens 37 Prozent müssten für den Klimaschutz ausgegeben werden. Verfassungsrichter Müller kritisierte in seinem Sondervotum die Entscheidung der Mehrheit als „nicht nachvollziehbar“. Die Schuldenaufnahme stelle zwei Drittel des mehrjährigen Finanzrahmens der EU dar. Sie sei auf eine „grundlegende Veränderung der Finanzarchitektur der Europäischen Union“ gerichtet, so der ehemalige saarländische Ministerpräsident. 

Verfassungsbeschwerden gegen Corona-Wiederaufbaufonds der EU erfolglos

Quelle: Reuters

Titellfoto: Bild von Udo Pohlmann auf Pixabay

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