Von Christian Solé, Deputy Head of Fundamental Europe Equity, Head of Small & Midcaps bei Candriam
Small Caps liegen seit dem zweiten Halbjahr 2021 deutlich hinter dem Markt zurück. Insbesondere die hohen Zinsen und die Inflationsangst machen den kleineren Unternehmen zu schaffen. 2023 könnte sich das ändern – zumindest in der Vergangenheit konnten Small Caps stets deutlich aufholen, wenn der Höhepunkt der starken Inflationsanstiege erstmal überschritten war. Mit ihrer Flexibilität und ihrer starken Preissetzungsmacht könnten sie sich im Laufe des kommenden Jahres bald wieder von der Masse abheben.
Bereits 50 Jahre ist es her, dass die Industrieländer mit ähnlich starken inflationären Kräften konfrontiert waren wie heute. Auch damals, in den 1970er Jahren, sorgten Krieg und daraus resultierende hohe Energiepreise für einen massiven Anstieg der Konsumentenpreise. In dieser Zeit war die Entwicklung kleinerer Börsenunternehmen besonders interessant: Als die Inflation 1973 nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems zu steigen begann und die globale Wirtschaft allmählich in eine Rezession schlitterte, zeigten Small Caps zunächst eine unterdurchschnittliche Performance. Denn kleinere Unternehmen sind in der Regel die ersten, die eine Konjunkturabkühlung zu spüren bekommen, wenn Anleger sich in stürmischen Zeiten abwenden und lieber sicherere Häfen ansteuern. Zudem sind für Small Caps die Fremd- und Eigenkapitalmärkte weniger zugänglich als für die großen Player. Wenn jedoch der Höhepunkt der Inflation erreicht ist, ändert sich die Performance von Small Caps.
Dynamik und Flexibilität: Small Caps können schnell auf neues Marktumfeld reagieren
Die Wende kam mit dem Höhepunkt der Inflation. Small Caps traten rasant in eine Phase starker Outperformance ein. Damals übertrafen Small-Caps nicht nur die wichtigsten traditionellen Anlageklassen auf realer Basis, sie zählten auch zu den wenigen Unternehmen, die positive Renditen erzielten. Das zeigt, wie entkoppelt Small- und Large Caps in bestimmten Marktsituationen performen können.
Für Investoren eröffnet sich so die Möglichkeit, ihr Portfolio zu diversifizieren, um in ähnlichen Konstellationen Gewinne zu erwirtschaften. In den 1970ern war der Aufholeffekt der kleinen Marktteilnehmer so stark, dass ihnen auch der zweite Inflationsschock 1978/1979 kaum etwas anhaben konnte. Small Caps konnten ihre stärkere Dynamik und ihre Flexibilität voll ausspielen und wesentlich schneller auf ein verändertes Umfeld reagieren als große Konzerne.
Bei Zinswende und Inflationsrückgang könnten Small Caps aufholen
Auch im aktuellen Umfeld liegen Small Caps weit hinter Large Caps zurück – und das bereits seit dem zweiten Halbjahr 2021. Übertragen wir die Erfahrungen aus den 1970er Jahren auf heute, könnte das ein Indiz dafür sein, dass Small Caps im Laufe von 2023 deutlich aufholen und sich im Vergleich zum Markt überproportional entwickeln. Bleibt die Frage nach dem Zeitpunkt: Mögliche Wendepunkte könnten erreicht sein, wenn die Notenbanken eine Kehrtwende ihrer Zinspolitik vollziehen oder wenn Investoren mehr Klarheit darüber haben, wie sich die inflationären Kräfte mittelfristig eindämmen lassen.
Um die Chancen einer solchen anstehenden Aufholphase zu nutzen, sollten Anleger bei ihren Anlageentscheidungen im aktuellen Marktumfeld insbesondere folgende fünf Kriterien im Blick behalten:
1. Stabiles Marktwachstum: Bei Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds ist es wichtig, zu verstehen, welche Nischen langfristiges Wachstumspotenzial haben. Ein Beispiel ist der private Sektor sowie Unternehmen aus dem Bereich grüne Technologien, der bei der Bewältigung der Klimakrise eine zentrale Rolle spielt. Der European Green Deal gibt diesen Unternehmen zusätzlichen Auftrieb.
2. Wettbewerbsvorteile: Die Margensicherung wird in einem inflationären Umfeld zu einem der entscheidenden Ziele. Entsprechend lohnt es sich für Investoren, auf Unternehmen mit entsprechender Preissetzungsmacht oder mit Potenzial für eine Steigerung ihres Marktanteils zu setzen. Unternehmen können diese Wettbewerbsvorteile durch Innovation oder mit einer günstigen Marktstruktur erreichen.
3. Rentabilität statt Wachstum: Viele Investmentstrategien konzentrieren sich auf das Wachstum. Gerade in einer Marktphase mit hoher Inflation wird die Rentabilität jedoch zur wichtigeren Kennzahl, denn Unternehmen mit geringer Rentabilität leiden in der Regel stärker unter höheren Inputkosten.
4. Geringer Verschuldungsgrad: Besonders in einem Umfeld steigender Zinsen wird die Fremdkapitalquote zu einem wichtigen Qualitätskriterium für Small-Cap-Titel. Bei Unternehmen mit hoher Verschuldung ist Vorsicht geboten – sowohl aus finanzieller Sicht als auch aus der Sicht verantwortungsbewussten Investierens.
5. Qualität des Managements: Unternehmen leben von ihren Mitarbeitern – gerade auch in wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten. Wie werden gute Führungskräfte und Mitarbeiter gebunden und beispielsweise durch Anreize motiviert? Eine Frage, die viel darüber aussagt, wie sich das Unternehmen in Zukunft weiter entwickeln könnte.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Märkte bald eine einzigartige Gelegenheit bieten könnten, um zu sehr attraktiven Konditionen in Small Caps zu investieren. Engagement und verantwortungsbewusstes Investieren bleiben für Investoren in diesem Marktumfeld entscheidend, um das Risiko-Ertrags-Verhältnis ihrer Portfolios zu optimieren. Eine bekannte Redewendung lautet: „Die Vergangenheit wiederholt sich nicht“ – aber reimt sie sich nicht oft? Bei der Performance von Small Caps ist davon auszugehen.
Bild Foto: Christian Solé, Deputy Head of Fundamental Europe Equity, Head of Small & Midcaps bei Candriam
Quelle Candriam