Kiew, 24. Apr (Reuters) – Vor einem von der Ukraine angekündigten Besuch hochrangiger Mitglieder der US-Regierung in Kiew haben russische Truppen am Sonntag ihre Offensive im Osten des Landes fortgesetzt. Ziele waren in den Regionen Donezk und Luhansk nach Darstellung des ukrainischen Militärs militärische und zivile Infrastruktur.
Zwei fünf und 14 Jahre alte Mädchen wurden in Donezk nach Angaben des Regionalgouverneurs Pawlo Kirilenko getötet, als ihr Wohngebäude durch russischen Beschuss zerstört wurde. Kirilenko forderte die Bevölkerung auf, Gebiete in der Nähe der Kämpfe zu verlassen. Auch das von russischen Truppen belagerte Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol lag nach Angaben des ukrainischen Präsidentenberaters Mychajlo Podoljak unter ständigem Beschuss.
Im Laufe des Tages erwartete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und US-Außenminister Antony Blinken in Kiew. Dies wäre der hochrangigste Besuch von US-Vertretern in der Ukraine seit dem Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar. Aus den USA wurde der von Selenskyj am Samstagabend angekündigte Besuch bislang nicht bestätigt.
Er werde mit ihnen besprechen, welche Waffen sein Land benötige, um der russischen Invasion zu begegnen, sagte Selenskyj. Benötigt würden mächtige schwere Waffen. Kurz zuvor hatte die britische Regierung angekündigt, sie werde weitere Militärhilfe leisten, darunter Drohnen und panzerbrechende Waffen. Dies habe Premierminister Boris Johnson bei einem Telefonat mit Selenskyj zugesagt.
BERICHT – RHEINMETALL FORDERT GENEHMIGUNG FÜR 100 MARDER
Selenskyj sprach zudem die Erwartung aus, dass die US-Regierung mit der Bundesregierung über die Bereitstellung von Waffen spreche. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigt sich bisher zurückhaltend zur ukrainischen Forderung, schwere Waffen wie etwa Marder-Schützenpanzer direkt aus Deutschland an die Ukraine zu liefern. Der Bundesregierung liegt laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ ein Antrag der Rüstungsschmiede Rheinmetall Landsysteme vor, die Ausfuhr von 100 eingelagerten Marder-Panzern zu genehmigen. Der Antrag sei vom Wirtschaftsministerium dem Bundessicherheitsrat vorgelegt worden. Sitzungen dieses Gremiums der wichtigsten Ministerien werden von der Bundesregierung geheimgehalten.
„Aus Gründen der Vertraulichkeit äußern wir uns grundsätzlich nicht zu etwaigen anhängigen Verfahren“, sagte am Sonntag eine Sprecherin des für die Rüstungsexportkontrolle zuständigen Wirtschaftsministeriums. Grundsätzlich werde bei den Ukraine-Fällen „unverzüglich und konstruktiv“ gehandelt: „Sobald konkrete Anträge vorliegen, leiten wir alle notwendigen Schritte ein und stimmen sie, wenn erforderlich, im Ressortkreis in den für die Entscheidung zuständigen Gremien ab.“
Ein FDP-Bundesparteitag sprach sich am Samstag für die Lieferung schwerer Waffen aus. Bei der Versorgung der Ukraine mit Waffen könne Deutschland ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts eigene Waffensysteme liefern. Diese Staaten könnten der Ukraine im Gegenzug Systeme wie „sofort einsetzbare Panzer und Artillerie“ liefern, mit denen die Streitkräfte dort vertraut seien. Dies entspricht einen Ringtausch, den die Bundesregierung bereits mit Slowenien eingeleitet hat.
Erschwert werden deutsche Waffenlieferungen laut einem Bericht der Schweizer „SonntagsZeitung“ auch durch ein Veto der Regierung in Bern. Diese habe die Weitergabe von in der Schweiz hergestellter Munition für den Schützenpanzer Marder verboten. Ein Schweizer Regierungssprecher sagte dem Blatt, man habe zwei Anfragen aus Deutschland für die Weitergabe von in der Schweiz gefertigter Munition an die Ukraine unter anderem mit Verweis auf die Schweizer Neutralität abgelehnt. Um welche Munition es sich gehandelt habe, sagte er nicht.
UKRAINE – RUSSLAND VERSTÄRKT TRUPPEN IM NORDEN
Russland verstärkt nach ukrainischen Angaben seine Truppen im Nordosten der Ukraine. In die russische Region Belgorod würden zusätzliche Einheiten verlegt, erklärte der ukrainische Generalstab. Darunter seien auch Gefechtseinheiten mit Kurzstreckenraketen vom Typ Iskander-M, die etwa 60 Kilometer entfernt zur Grenze stationiert würden. Die Lenkraketen haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern und können konventionelle oder nukleare Sprengköpfe tragen.
Nach britischen Analysen haben die ukrainischen Streitkräfte in der zurückliegenden Woche zahlreiche russische Angriffe entlang der Kontaktlinie in der Donbass-Region zurückgeschlagen. Trotz einiger russischer Geländegewinne sei der ukrainische Widerstand an allen Fronten stark gewesen und habe den Streitkräften Russlands erhebliche Verluste zugefügt, twitterte das britische Verteidigungsministerium aus einem regelmäßigen Lagebericht des Militärgeheimdienstes.
Auch das von ukrainischen Kämpfern gehaltene Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol wurde nach Angaben der Regierung in Kiew wieder beschossen. Es werde mit schweren Bomben aus der Luft und Artillerie angegriffen, erklärt Präsidentenberater Mychajlo Podoljak auf Twitter. In dem sollen auch zahlreiche Zivilisten Zuflucht gesucht haben. Podoljak, der auch ein führender Unterhändler bei den Verhandlungen mit Russland ist, fordert die Führung in Moskau anlässlich des orthodoxen Osterfests zu einem „echten Osterfrieden in Mariupol“ auf.
Russland hatte am Samstag auch die Hafenstadt Odessa angegriffen. Nach russischer Darstellung wurden bei dem Raketenangriff Waffen aus den USA und von europäischen Staaten zerstört, die in einem Logistik-Terminal gelagert gewesen seien. Laut Selenkskyj wurden bei dem Angriff acht Menschen getötet, darunter ein drei Monate altes Kind.
Selenskyj erwartet hohen US-Besuch in Kiew
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.