London/Saporischschja, 27. Sep – Zum Abschluss der Referenden in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine hat die Regierung in Moskau erneut mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Ex-Präsident Dmitri Medwedew schrieb am Dienstag auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, sein Land habe das Recht, sich im Zweifel mit Atomwaffen zu verteidigen. Zugleich äußerte er die Vermutung, dass die Nato darauf nicht reagieren werde. Erwartet wird, dass Russlands Präsident Wladimir Putin schon am Freitag Teile der Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja zu russischem Staatsgebiet erklären könnte. Dann wäre die ukrainische Offensive zur weiteren Rückeroberung ihrer Gebiete in Augen Moskaus ein Angriff auf Russland.
Erste Ergebnisse der von der Regierung in Kiew und westlichen Staaten als „Schein-Referenden“ bezeichneten Abstimmungen lagen bereits am Dienstagnachmittag vor. Danach gab es eine überwältigende Mehrheit für einen Anschluss an Russland, wie die Nachrichtenagentur RIA berichtete. In Cherson votierten laut RIA 96,97 Prozent für die Annexion, nach Auszählung von 14 Prozent der Stimmen. In Saporischschja seien es 98,19 Prozent, basierend auf 18 Prozent ausgezählter Stimmen. Aus Donezk und Luhansk berichtete RIA keine Zahlen. Die vier Regionen machen zusammen rund 15 Prozent des ukrainischen Territoriums aus.
Zu erwarten ist, dass ähnlich wie im Fall der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim das Vorgehen Moskaus auch jetzt völkerrechtlich nicht anerkannt wird. Vielfach kam es während der insgesamt fünftägigen Voten zu Berichten, wonach eine geheime und freie Stimmabgabe nicht möglich war. Zu sehen waren etwa gläserne Urnen, Menschen wurden teils mit Gewalt zur Abgabe ihrer Stimme gezwungen. Viele Ukrainer, die in den besetzten Gebieten leben, ergriffen die Flucht, insofern ihnen dies möglich war.
„Angenommen, Russland ist gezwungen, die fürchterlichste Waffe gegen das ukrainische Regime einzusetzen, das eine schwere Aggression begangen hat, die für die Existenz unseres Staates gefährlich ist“, schrieb Medwedew. „Ich glaube, dass sich die Nato auch in dem Fall nicht direkt in den Konflikt einmischen würde. (…) Die Demagogen jenseits des Ozeans und in Europa werden nicht in einer nuklearen Apokalypse sterben.“ Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates, betonte: „Russland hat das Recht, Atomwaffen einzusetzen, wenn es nötig ist.“ Dies sei „sicher kein Bluff“. Ähnlich hatte sich vor einigen Tagen auch Putin geäußert.
„WIR HABEN LISTEN“
Das britische Verteidigungsministerium verwies darauf, dass Putin am Freitag eine Rede vor beiden Kammern des Moskauer Parlaments angesetzt habe. Dann könne er formell die Aufnahme der besetzten ukrainischen Gebiete in die Russische Föderation bekanntgeben. Dafür bestehe eine „realistische Möglichkeit“, hieß es im täglichen Lagebericht des Ministeriums, der sich auf Erkenntnisse des britischen Militärgeheimdienstes stützt. Keine der vier Regionen ist allerdings unter vollständiger Kontrolle der russischen Streitkräfte, was die Lage noch weiter verkomplizieren könnte.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak sagte in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Blick“, die Regierung bereite sich auf einen russischen Angriff mit Nuklearwaffen vor. Es liege aber vor allem in der Hand der Atommächte, die Regierung in Moskau von einem solchen Schritt abzuschrecken. Zugleich kündigte er an, dass Ukrainer, die die Russen bei den Referenden unterstützt hätten, wegen Hochverrats vor Gericht kämen. Ihnen drohe eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren. „Wir haben Listen mit Namen von Leuten, die darin irgendwie verwickelt waren“, sagte Podoljak.
Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die militärische Lage in der ostukrainischen Region Donezk als „besonders ernst“. In seiner nächtlichen Videoansprache erklärt er, die Region habe für die Ukraine derzeit oberste Priorität: „Denn der Donbas ist immer noch das Ziel Nr. 1 für die Besatzer.“ Zum Donbas gehört auch die Region Luhansk.
Russland droht erneut mit Atomwaffen – Referenden vor Abschluss
Quelle: Reuters
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