Freitag, März 29, 2024
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„Regime Change“ – Was Bidens umstrittene Putin-Bemerkung auslöst

Washington/Berlin, 30. Mrz (Reuters) – Mit einem einzigen Satz hat US-Präsident Joe Biden eine heikle Debatte über den Umgang mit Russlands Präsident Wladimir Putin ausgelöst: „Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“, hatte Biden am Samstag in der polnischen Hauptstadt Warschau gesagt, am Ende einer als historisch angekündigten Rede, in der er den russischen Angriff auf den Nachbarn Ukraine von Grund auf verurteilte.

Auch Tage danach muss sich der US-Präsident gegen den Vorwurf verteidigen, dass er damit einen „regime change“ gefordert habe und Putin zu einer noch unnachgiebigeren Haltung treibe. Eine Eskalation der Lage will man aber verhindern, deshalb beeilten sich US-Außenminister Antony Blinken und Vertreter westlicher Staaten zu erläutern, es gehe nicht um eine Absetzung Putins. Andere fragen: Was bringen Gespräche mit einem Mann, dem man ohnehin nicht mehr glaubt?

Bidens Satz folgte am Ende einer 27-minütigen Rede vor rund 1000 Menschen, die klatschten, jubelten und Fahnen schwenkten. Der Satz habe nicht im Redemanuskript gestanden, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses später. Auf die Frage, ob die Äußerung Bidens wirkliche Gefühlslage darstelle, verwies er darauf, dass der US-Präsident schon früher nicht davor zurückgeschreckt sei, Putin einen „Schlächter“ oder „Kriegsverbrecher“ zu nennen. Doch der Satz wirft Fragen auf über die langfristige Strategie der Vereinigten Staaten gegenüber ihrem ehemaligen Feind aus dem Kalten Krieg. Er gibt der Meinung Russlands und anderer Staaten Nahrung, die USA betreibe eine imperialistische Außenpolitik. 

In seiner politischen Laufbahn hat sich Biden bei spontanen Gesprächen mit Reportern oder anderen Veranstaltungen bereits einige verbale Fehltritte geleistet. Auf seiner jüngsten Europareise sagte Biden etwa, die USA würden „mit gleicher Münze“ antworten, wenn Russland in der Ukraine chemische Waffen einsetze. Zudem deutete er an, dass US-Truppen an die Front gehen würden. Beides entspricht nicht der Politik der USA.

Bidens emotionale Erklärung bringe auf jeden Fall die Frustration zum Ausdruck, die viele westliche Länder und viele US-Wähler über die russische Invasion in der Ukraine empfänden, so ein Verbündeter des demokratischen Präsidenten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock sprechen ständig von „Putins Krieg“ und wollen bewusst eine Abgrenzung von „den Russen“ und „Russland“ erreichen. Mit der persönlichen Zuspitzung wolle man verhindern, dass in Deutschland die Stimmung gegen die russischstämmige Bevölkerung angestachelt werde, heißt es in Berliner Regierungskreisen. Man denkt auch an die Zeit nach dem Krieg und nach Putin. 

VERLÄSSLICHER VERHANDLUNGSPARTNER?

Im Westen ringt man mit der Frage, wie weit eine Verurteilung Putins gehen sollte. So hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck am 18. März gesagt: „Wir sollten alles, was wir tun können, tun, um Putins Macht zu reduzieren und am Ende auch zu zerstören.“ Der Grünen-Politiker dementierte zwar ebenso wie Biden, dass damit die Forderung eines „regime change“ gemeint gewesen sei. Aber der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, verteidigt Biden ausdrücklich: „Der Satz Bidens ist doch Ausdruck der Forderung, dass Putin für seine Aggression gegenüber der Ukraine und die begangenen Kriegsverbrechen vor ein Internationales Gericht gestellt wird“, sagte der frühere deutsche UN-Botschafter zu Reuters.

Er spielt auf ein großes Problem der Verhandlungen mit Putin an – einem Mann, der bis zuletzt leugnete, einen Angriff auf die Ukraine zu planen. „Die Staatengemeinschaft hat ein Interesse daran, dass das wichtige Land Russland von einer Person regiert wird, auf die sich die Menschen verlassen können“, sagte Heusgen. Russland habe unter Putin aber jede Glaubwürdigkeit verspielt, „nachdem dieser die wichtigsten völkerrechtlichen Grundlagendokumente verletzt hat“. Die Ukraine soll also nun einer Zusage von Putin-Russland für neue Sicherheitsgarantien glauben? Die westlichen G20-Staaten ringen mit der Vorstellung, sich mit Putin nach dem Angriffskrieg mit bereits zehntausenden Toten wieder an einen Tisch zu setzen. Bidens Forderung nach einem Ausschluss Russland wollen etliche G20-Staaten nicht folgen.

WAS IST DAS ENDSPIEL MIT PUTIN?

Auch die US-Regierung will keine weitere Eskalation mit Russland. Am Montag erklärte Biden, seine Bemerkung spiegele eher seine eigene „moralische Empörung“ wider als eine Änderung der Politik. Hintergrund des Zurückruderns ist auch, dass in Washington etwa vom US-Senator Lindsey Graham durchaus die Meinung vorgetragen wurde, wonach die Lösung der Krise in der Ukraine in der gewaltsamen Absetzung Putins bestehe. 

In der EU gibt es eine Debatte, ob man überhaupt noch mit Putin reden sollte: Polen etwa sieht dies sehr kritisch. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Scholz pflegen dagegen immer noch den direkten Kontakt in den Kreml. Ein Argument dabei ist: Man wisse nicht, wer es in Moskau überhaupt noch wage, Putin die Wahrheit über die Lage in der Ukraine zu sagen, heißt es bei EU-Diplomaten. Also wolle man ihm zumindest diese Botschaft direkt überbringen. Man müsse Putin klar machen, dass er mit dem Überfall nur das Gegenteil dessen erreiche, was er wolle: Die Ukraine wendet sich nun wohl für immer von Russland ab und die Nato verstärkt ihre Ostflanke. 

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Die Frage ist, was die „regime change“- Debatte in Russland selbst bewirkt. Letzte Woche warnte einer der engsten Verbündeten Putins, Dmitri Medwedew, die USA, dass der Rücktritt des russischen Präsidenten zu einer instabilen Führung in Moskau führen könnte, „mit einer maximalen Anzahl von Atomwaffen, die auf Ziele in den Vereinigten Staaten und Europa gerichtet sind.“ Kremlsprecher Dmitri Peskow nannte Biden Äußerung „alarmierend“. Andrew Lohsen, Experte am Center for Strategic and International Studies, warnt deshalb: „Dies wird ein fester Bestandteil der russischen Desinformationskampagnen werden.“

„Regime Change“ – Was Bidens umstrittene Putin-Bemerkung auslöst

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Titelfoto und Foto: Symbolfoto

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