Berlin, 28. Feb (Reuters) – Deutschland treibt angesichts der russischen Invasion der Ukraine den Ökostrom-Ausbau mit Hochdruck voran und schafft eine Gas-Reserve. Die Bundesregierung brachte am Montag ein Gesetzespaket auf den Weg, mit dem unter anderem eine Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien bis 2035 möglich sein soll. Gesetzlich verankert wird, dass der Ausbau im „überragenden öffentlichen Interesse ist und der öffentlichen Sicherheit dient“.
Zudem werden Mindest-Füllstände für Gas-Speicher vorgeschrieben, um Engpässe im Winter zu vermeiden. Während mehrere Wirtschaftsminister der Bundesländer auch eine Prüfung längerer AKW-Laufzeiten verlangten, schloss Umweltministerin Steffi Lemke dies aus. Aus Sicherheitsgründen sei das unverantwortbar, sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters. Aktien von Ökostrom-Produzenten legten an der Börse stark zu, während der Markt insgesamt in der Krise weiter absackte.
Die russische Invasion der Ukraine hatte die Debatte über die Energiesicherheit nocheinmal befeuert. Zentrales Element der Versorgung sollen künftig erneuerbare Energien und letztlich auch mit ihnen erzeugter Wasserstoff sein. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hatte von „Freiheitsenergien“ gesprochen. Am Montag trafen sich die EU-Energieminister in Brüssel zu Beratungen über die Versorgungssicherheit.
Das Bundeswirtschaftsministerium stellte ein erstes Gesetzespaket mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als Kernelement fertig, das spätestens im Juli in Kraft treten soll: Demzufolge soll sich bis 2030 die Leistung von Windenergie an Land auf bis zu 110 Gigawatt verdoppeln. Auf hoher See soll die Windenergie bis 2030 eine Leistung von 30 Gigawatt erreichen. Die Solarenergie soll sich auf 200 Gigawatt mehr als verdreifachen.
SOLAR-FÖRDERSÄTZE FÜR HAUSDÄCHER SOLLEN STEIGEN
Die Solar-Fördersätze für Hausdächer – also die garantierten Abnahmepreise für den dort erzeugten Strom – werden erhöht. Zudem sollen sie anders als derzeit für neue Anlagen auch bei vielen neuen Anlagen nicht mehr stark fallen. Bisher sanken die Abnahmepreise für Betreiber neuer Anlagen schneller, wenn über den geplanten Zahlen zugebaut wurde. Haus-Eigentümer können jetzt auch wählen, ob sie den Strom komplett ins Netz einspeisen wollen. Bisher waren sie verpflichtet, einen Teil des Stroms selbst zu verbrauchen.
Neu ist auch eine Regelung, dass Extra-Gewinne der Betreiber großer neuer Ökostrom-Kraftwerke über sogenannte Differenzverträge abgeschöpft werden. Angesichts zuletzt sehr hoher Strompreise verlieren die garantierten Abnahmepreise für Investoren an Bedeutung, da sie ihren Strom direkt zu noch höheren Tarifen abgeben können. Diese Zusatz-Einnahmen werden dem Gesetz zufolge zu 80 Prozent dafür verwandt, die Leitungs-Gebühren als Teil des Strompreises für die Verbraucher zu senken. 20 Prozent sollen dem Naturschutz zu Gute kommen.
Für Verbraucher hat die Regierung zudem ein Gesetz auf den Weg gebracht, damit der Wegfall der EEG-Umlage auf den Strompreis, mit der die Förderung bezahlt wurde, auch beim Kunden ankommt. Ab Juli wird die Umlage aus dem Bundeshaushalt finanziert. Ein Durchschnittshaushalt wird so um etwa 150 Euro im Jahr entlastet, wenn die Entlastung weitergegeben wird.
ZWANG ZUR FÜLLUNG VON GAS-SPEICHERN
Wegen des Ukraine-Kriegs bereitet sich die Bundesregierung auch auf einen völligen Stopp russischer Lieferungen von Gas oder Öl vor. Mit Vorgaben für Mindestfüllstände der Speicher soll nun gesetzlich gesichert werden, dass die Versorgung vor allem für die Wintermonate ausreicht, wie aus Eckpunkten des Gesetzes hervorgeht. Vorgeschrieben wird darin, dass die Speicher zunehmend und bis Dezember zu 90 Prozent gefüllt sind und im Februar noch mindestens 40 Prozent voll sein müssen.
Verantwortlich soll eine Tochtergesellschaft der Gas-Pipeline-Betreiber sein, die die Gasmengen ausschreiben. Die Kosten werden auf die Netz-Entgelte und damit letztlich auf die Kunden umgelegt. Die Speicher können insgesamt etwa ein Viertel des pro Jahr benötigten Erdgases aufnehmen.
Wirtschaftsministern der Länder reicht dies nach Worten des nordrhein-westfälischen Ministers Andreas Pinkwart nicht. Sie hätten sich für eine Prüfung längerer Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken in der Bundesrepublik ausgesprochen.
„Sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch die Vertreter der Länder haben deutlich gemacht, (…) dass wir kurzfristig ohne Denkverbote und Tabus prüfen müssen“, sagte Pinkwart. Eine weitere Nutzung der Atomkraft könne „nur eine Ultima Ratio sein, aber wir müssen sie bedenken“, sagte der FDP-Politiker.
Dem widersprach Umweltministerin Lemke: „Aus Sicherheitsgründen halte ich eine Laufzeit-Verlängerung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland für nicht verantwortbar“, sagte die auch für Reaktorsicherheit zuständige Grünen-Politikerin der Nachrichtenagentur Reuters. „In einer Krisenzeit wie dieser kann sie uns sogar besonders verwundbar machen.“ Daher gelte, „keine weiteren Risikofaktoren, keine Laufzeitverlängerung.“
Regierung beschleunigt Ökostrom-Ausbau und schafft Gas-Reserve
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Wichtige Entwicklungen zur Ukraine.